Lärmzunahme in der gesamten Rhein-Main-Region
Schreiben an die zuständigen Ausschussvorsitzenden in Berlin

Die Zunahme des Lärms in der gesamten Rhein-Main-Region und in der Stadt Frankfurt im Besonderen nach dem Bau der neuen Landebahn ‘Nord-West‘ haben zu einer Reihe von Beschwerden aus der Bevölkerung geführt und die Bürger sogar Petitionen an die zuständigen Ausschüsse der Parlamente einbringen lassen. Die FREIEN WÄHLER Frankfurt haben die zuständigen Ausschussvorsitzenden in Berlin angeschrieben und eine Anpassung der Bundesgesetzgebung gefordert. Das Schreiben mit den darin gestellten Forderungen wollen wir der Öffentlichkeit nicht vorenthalten.
Patrick Schenk
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An die/den
Vorsitzende
des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Frau Eva Bulling-Schröter
Vorsitzende
des Ausschusses für Gesundheit
Frau Dr. Carola Reimann
Vorsitzenden
des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Herrn Dr. Anton Hofreiter
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Frankfurt am Main, den 29.10.2012
Bisher fehlgeschlagene europarechtlich vorgeschriebene Lärmminderungsplanung nach dem Ausbau des Frankfurter Flughafens infolge unzureichender Bundesgesetze
Sehr geehrte Frau Bulling-Schröter,
sehr geehrte Frau Dr. Reimann,
sehr geehrter Herr Dr. Hofreiter,
die Unterzeichner sind als Fraktionsmitglieder der FREIEN WÄHLER Stadtverordnete der Stadt Frankfurt. In dieser Stadt wird nach dem Ausbau des Frankfurter Flughafens in allen Parteien und Fraktionen über die bereits zugenommene Lärmbelastung (allerdings nur als Folge geänderter Lärmverteilung ohne Zunahme der Flugbewegungen) sowie über die geplante weitere Zunahme des Fluglärms infolge der erweiterten Kapazitäten bei der Fraport AG diskutiert und gestritten. Eine nicht mehr zählbare Menge von Anträgen an die Stadt- und Kreisparlamente im gesamten Rhein-Main-Gebiet, eine Flut von Bürgerbeschwerden und eine noch nie gekannte Beteiligung von Bürgerinitiativen (mit permanenten Montagsdemonstrationen am Flughafen) sind zu verzeichnen, die jedoch keinerlei Aussicht auf einen wie auch immer gearteten Erfolg versprechen. Die Gründe dafür liegen fast ausschließlich in der Bundesgesetzgebung. Das ist Anlass für uns, Sie als Vertreter auch der Frankfurter Bevölkerung mit dieser Situation zu konfrontieren. Diese ist aus unserer Sicht unhaltbar geworden und macht ein Handeln des Bundestages noch in dieser Legislaturperiode dringend erforderlich.
In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Bundesrepublik Deutschland nach Europarecht verpflichtet ist, zur Lärmminderung beizutragen. Dieser Verpflichtung kommt die hessische Landesregierung nicht ausreichend nach. Rechtliche Grundlage ist die europäische „Richtlinie über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm“ aus dem Jahr 2002 (RL 2002/49/EG). Die Quellen von Umgebungslärm im Sinne dieser Richtlinie sind Straßenverkehr, Schienenverkehr, Flugverkehr und Gewerbe. In Deutschland wurden die Vorgaben zur Lärmaktionsplanung in den §§ 47a-f Bundes-Immissionsschutzgesetz und der Verordnung über die Lärmkartierung (34. BImSchV) umgesetzt. Nach § 47d BImSchG ist unter anderem für Großflughäfen mit mehr als 50.000 Flugbewegungen/Jahr ein Lärmaktionsplan aufzustellen. Der Entwurf des Lärmaktionsplans Hessen, Teilplan Flughafen Frankfurt/Main, ist - wenn auch mit erheb-licher Verspätung - fertiggestellt und wurde am 3. September 2012 öffentlich bekannt gemacht.
Ziel und Zweck des Lärmaktionsplans für Flughäfen ist die Festlegung von Maßnahmen zur Minderung der vom Flughafen ausgehenden Lärmimmissionen. Bei der Aufstellung des Lärmaktionsplans sind gemäß § 14 Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm dort die in § 2 Abs. 2 festgelegten Werte zu beachten, die auch Grundlage für die Festsetzung des Lärmschutzbereichs für den Flughafen Frankfurt sind. An diesen Werten haben sich die Festlegung des Plangebiets und die Auswahl der Lärmminderungsmaßnahmen zu orientieren.
Fazit ist somit, dass die Landesbehörden sich an Bundesgesetzen zu orientieren haben. Das Land Hessen orientiert sich danach an den Grenzwerten des Fluglärmschutzgesetzes. Diese beruhen aber auf unzureichenden Berechnungen und bilden die reale Fluglärmbelastung nur unzureichend ab. Bei der europarechtlichen Vorgabe wurde versäumt, Grenzwerte festzusetzen, bei deren Überschreitung automatisch entsprechende Maßnahmen ergriffen werden müssen. So dürfen die EU-Mitgliedsstaaten nun ihre Grenzwerte selbst festlegen. Doch die hiesige Lärmberechnung bezieht sich auf Dauer- statt auf Einzelschallereignisse. Die Bevölkerung einer solchen Belastung durch die neue Landebahn auszusetzen, war eine politische Entscheidung. Vor 20 Jahren waren die Flugzeuge zwar erheblich lauter, dafür gab es aber weit weniger Flugbewegungen. Aus unserer Sicht lässt sich die Schutzpflicht des Staates heute nicht nur mit neuen Lärmwerten, sondern vielmehr durch Standortentscheidungen gewährleisten. Daher hätte die Nordwest-Landebahn an dieser Stelle nicht gebaut werden dürfen.
Der hessische Lärmaktionsplan bringt nach allgemeiner Auffassung, etwa in den Medien, entgegen seiner Zielsetzung keine Lärmminderung. Er enthält gravierende Mängel, die hier nur kursorisch aufgeführt werden sollen:
1. Datenbasis und Lärmkartierung stammen aus 2005/2007, daraus berechnete Prognosen sind falsch.
2. Die aufgezählten und zum Teil bereits seit 1999 ergriffenen Maßnahmen tragen heute und in Zukunft nicht zur Lärmminderung bei; im Gegenteil, es wird immer lauter! Aktuelle Routen kommen nicht vor!
3. Die absurde Berechnungsgrundlage von Dauerschallpegeln durch Mittelwertbildungen ohne Berücksichtigung häufiger, kurzfristiger, stresserzeugender Einzelschallereignisse verharmlost die Situation zum Schaden der Betroffenen.
4. Es werden die empfohlenen Lärmobergrenzen der Weltgesundheitsorganisation WHO, des Umweltbundesamtes und des Deutschen Ärztetags unterlaufen. Noch nicht einmal die ebenso ungenügenden Standards des neuen Flughafens Berlin/Brandenburg werden berücksichtigt.
5. Die schädlichen Auswirkungen von weniger als 5½ Stunden effektiver Nachtruhe und deren Unterbrechung durch permanente Ausnahmegenehmigungen wird nicht betrachtet!
6. Es sollte nicht sein und ist unethisch zugleich, dass hier und in Zukunft die Auswirkungen auf die Gesundheit erst nach langjähriger, krankmachender Lärmbelastung der Menschen untersucht wird, d. h. Experiment am lebenden Subjekt, und nicht vorher. Der grundgesetzlich verbürgte Schutz auf Leben und Gesundheit (Art. 2 GG) wird in den betroffenen Gebieten schlichtweg versagt, ohne dass die Bürger eine erfolgversprechende Möglichkeit haben, dagegen gerichtlich vorzugehen.
Das ist im Rhein-Main-Gebiet bestens bekannt, aber letztlich auf der bestehenden bundesgesetzlichen Grundlage nicht angreifbar. Alles Belastende beruhe auf „Gesetz und Recht“, so äußerte sich in einem Vortrag der Vorsitzende der Fluglärmkommission beim Frankfurter Flughafen, der Raunheimer Bürgermeister Thomas Jühe, der nach seinen Worten sehr häufig „in Berlin“ vorstellig wurde, wenn auch ohne greifbare Erfolge.
In einer Petition an den Hessischen Landtag vom 01. August 2011, die einen besseren Schutz der Bevölkerung des Rhein-Main-Gebietes vor Fluglärmbelastung erwirken soll, wird eine Reihe von Forderungen mit bundesrechtlicher Relevanz erhoben. Diese sind:
1. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung und die Deutsche Flugsicherung (sie unterstehen einem Bundesministerium) sollen zu einer Neubewertung der Flugrouten für den Flughafen Frankfurt/Main aufgefordert werden. Nach vorrangiger Berücksichtigung der Flugsicherheit gilt es, die Routen gemäß § 29b des Luftverkehrsgesetzes nach der geringstmöglichen Lärmbelastung der Bevölkerung zu erstellen. Nachrangig sind Kriterien wie z. B. Flüssigkeit des Verkehrs, Wirtschaftlichkeit etc. Falls nötig, müssen für lärmmindernde An- und Abflugverfahren mehr Fluglotsen zur Verfügung gestellt oder Abstriche bei der Anzahl der Flugbewegungen gemacht werden.
2. Festgesetzte Routen dürfen nur aus Sicherheitsgründen verlassen werden, damit der Lärmschutz der Bevölkerung gewährleistet bleibt (Zitat Umweltbundesamt vom 07.07.2011: „Nach unseren Informationen hat sich die Flugsicherung intern darauf festgelegt, dass sie ab einer Höhe von 5000ft den wirtschaftlichen Aspekten den Vorrang einräumt.“).
3. Beschließung und sofortige Umsetzung eines Nachtflugverbotes von 22.00 bis 6.00 Uhr (eine Forderung, die ohne bundesgesetzliche Regelung nicht umgesetzt werden kann).
4. Schaffung eines nichtverfallbaren Rechtsanspruchs auf passiven Schallschutz in den dafür ausgewiesenen Gebieten und dessen sofortige Umsetzung.
5. Festlegung zulässiger Pegel für Fluglärm (im Fluglärmschutzgesetz). Bei der Abwägung zwischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Bevölkerung infolge von Stress und Schlafentzug durch Fluglärm und den wirtschaftlichen Notwendigkeiten müssen die Belan-ge der betroffenen Menschen vorrangig (und rechtssicher) berücksichtigt werden.
Die Klammerzusätze sind in der Petition mit Ausnahme der Ziffer 2 nicht enthalten.
Wir gehen davon aus, dass die hessische Landesregierung diese Forderungen, selbst wenn sie es wollte, nicht umsetzen kann, weil das Bundesrecht dem entgegensteht.
Wir fordern Sie als Vorsitzende der zuständigen Bundestagsausschüsse auf, sich dieser für das Rhein-Main-Gebiet mit mehreren hunderttausend betroffenen Menschen außerordentlich wichtigen Problematik zu befassen und möglichst noch in dieser Legislaturperiode die gesetzlichen Grundlagen so zu verändern, dass ein echter Prozess der Interessenabwägung stattfinden kann und das Grundgesetz auch für die von Fluglärm betroffene Bevölkerung wieder Geltung erlangt.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Belastung der Menschen nicht nur durch Fluglärm stattfindet, sondern in hohem Maße auch durch die Emissionen des Flugverkehrs. Jedes Flugzeug emittiert während des Fluges über vierhundert chemische Stoffe, die teilweise höchst giftig sind.
Da Sie als Parlamentarier auch die Aufgabe haben, die Regierung zu kontrollieren, weisen wir Sie auf ein weiteres Problem hin, für das der Bundestag nicht unmittelbar zuständig ist:
Es handelt sich um die Ausrüstung der Flugzeuge mit Navigationshilfen zur Flächennavigation. Diese Flächennavigation könnte es gewährleisten, die gesetzlich bereits vorhandene Vorschrift zu erfüllen, bewohnte Gebiete möglichst zu umfliegen. Außerhalb der Anflugstrecken, die nicht beeinflusst werden können, scheitert das in Frankfurt jedoch daran (und vermutlich auch bei anderen deutschen Flughäfen), dass nach Abschätzung der Fraport AG, die für die Einführung des „Segmented RNAV-Approach“ durchgeführt wurden, erst ein „theoretisches Nutzungspotenzial von 80 % der Flugzeuge“ erreicht ist (Quelle: Bericht des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main B 125 vom 9.3.2012). Der Frankfurter Osten könnte aufgrund seiner geografischen Lage so umflogen werden, dass die Zahl der durch Fluglärm belasteten Menschen erheblich reduziert werden würde. Das scheitert daran, dass das Nutzungspotenzial von 100 % bisher nicht erreicht wurde und vielleicht auch niemals erreicht werden wird. Dabei sind die notwendigen Geräte sicherlich kein ernstzunehmender Kostenfaktor. Vielmehr können sich die internationalen Fluggesellschaften auf Absprachen und Verträge der Bundesregierung berufen, die eine entsprechende Verpflichtung überhaupt nicht vorsehen. Im Gegenteil: Wenn der Flughafen von den Gesellschaften verlangen würde, nur solche Flugzeuge starten und landen zu lassen, die über diese Geräte verfügen, könnten sich die Airlines auf ein Diskriminierungsverbot berufen. Hier zeigt sich, dass durch Regierungshandeln ein nahezu absoluter Schutz der Flugindustrie ermöglicht wird zu Lasten der durch Fluglärm betroffenen Bevölkerung. Es besteht daher dringender Handlungsbedarf, und wir hoffen, dass Sie sich bei dem zuständigen Ministerium für Abhilfe einsetzen werden und uns darüber informieren.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Hübner Patrick Schenk
Fraktionsvorsitzender Stellv. Fraktionsvorsitzender
Stadtverordneter Stadtverordneter
FREIE WÄHLER Frankfurt FREIE WÄHLER Frankfurt
Anlage
Resolution Deutscher Ärztetag
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