Bedeutungslosigkeit der Freien Wähler?
Ein weiterer Diskussionbeitrag nach der Niedersachsen-Wahl

Die Ökonomie des Denkens fasst komplexe Sachverhalte zu Begriffen zusammen. Das ist notwendig und gut, um die Vielfalt der Welt gedanklich bewältigen zu können. Begriffliche Abstraktionen verstellen aber auch oftmals den Blick auf tieferliegende Gründe. Antworten auf Fragestellungen bleiben dann im Dunkeln. Nachfolgend soll daher die Fragestellung näher beleuchtet werden, welche Ursachen bei den Freien Wähler ein dermaßen schlechtes Wahlergebnis bei der Wahl in Niedersachsen zu verantworten haben. Bei dieser Aufgabe ist es notwendig, den abstrakten Begriff der politischen „Wahl“ genau zu betrachten. Im Ergebnis wird die Auffassung vertreten, dass das Wahlergebnis einer grundsätzlichen Fehleinschätzung zu verantworten ist, nämlich der Annahme, politische Wahlen mit den bewährten Verkaufs-Konzepten von Wurst, Käse oder Brötchen gewinnen zu können.
Der Begriff der „politischen Wahl“ oder das „Wählen“ bezeichnet die Tätigkeit, eine Entscheidung zu treffen: wer wählt, der entscheidet; und wer entscheidet, der „scheidet“, der trennt, der separiert. Wer also seine Wahl trifft, der wählt im selben Moment auch nicht! Dies heißt, eine Wahlentscheidung zu treffen bedeutet, alle anderen Möglichkeiten, die zur Wahl standen, abzulehnen. Wer wählt, entscheidet sich daher für einen kleinen Teil und lehnt mit dieser Wahl einen größeren Anteil der Möglichkeiten ab. Der allgemeine Begriff des Wählens bedeutet daher im Besonderen das Gegenteil von Wählen: das Ablehnen. Möchte man dieser Aussage einen philosophischen Chic geben, dann könnte man sagen, dass erst durch die Selektion einer bestimmten Quantität Qualität erzeugt wird. Die Betonung dieses „negativen“ Aspekts jeder Wahl ist wichtig, um dem, einer politischen Wahl zu Grunde liegenden Mechanismus zu beleuchten, auf welchem Weg Entscheidungen getroffen werden. Denn nur dann, wenn dieser Entscheidungsweg durchsichtig ist, kann nach einer Wahl die Frage beantwortet werden, warum die Wahl so und nicht anders ausgefallen ist.
Menschen wählen. Menschen wählen politische Programme, weil Menschen ihre eigene Zukunft bestimmen wollen. Jene Wahl der eigenen Zukunft setzt voraus, dass die Vertreter der politischen Programme, die Parteien(-Namen) und Politiker klare politische Programme formulieren. Denn nur dann, wenn politische Positionen eindeutig zu erkennen sind, weil sie sich von anderen Programmen unterscheiden, können diese öffentlich sichtbar und vom Wähler wahrgenommen und ggf. gewählt werden. Aus jener einfachen Mechanik folgt eine wichtige Erkenntnis, die für den allgemeinen gesunden Menschenverstand (wie er für alle Marktplätze dieser Welt Gültigkeit beanspruchen kann) auf den ersten Blick nicht einsichtig ist: Wer alles anbietet, findet nur wenige Käufer!
Daraus folgt, der Gedanke, alle möglichen politischen Positionen anzubieten, würde die Chancen, gewählt zu werden, erhöhen, ist grundsätzlich falsch. Vielmehr gilt das Gesetz, wer gewählt werden will, muss sich zuvor von möglichst vielen anderen Positionen abgrenzen. Auf eine Bäckerei übertragen: Nicht ein vielfältiges Angebot erhöht den Umsatz - vielmehr die künstliche Verknappung einer einzelnen Filiale auf wenige Produkte lässt den Preis und die Nachfrage jener Filiale in die Höhe schießen. Ein, dem normalen Marktgesetzen völlig widersprechendes Marktgeschehen. Zu erwarten wäre vielmehr, dass die Kunden die Bäckerei nebenan mit einem riesigen Angebot und niedrigen Preisen frequentieren würden.
Diese Ausführungen gelten insbesondere für kleine, junge, unbekannte Parteien, die sich im politischen Markt noch keinen Namen gemacht haben. Denn der Name einer Partei ist nichts anderes - und hier schließt sich der Kreis zum Anfang dieses Artikels - als eine Abstraktion, nämlich Partei zu ergreifen für eine strenge und enge Auswahl der bestehenden Möglichkeiten. Ein Partei-Name aber, der für jede politische Position stehen kann, löst sich nach der eigenen Definition (Partei) in ein Nichts auf, ähnlich einem profillosen Autoreifen, der auf glatter Fahrbahn keine bestimmte Richtung halten kann.
Eine politische Organisation, die sich als eine Partei zu einer wichtigen Landtagswahl zur Wahl stellt, und vor der Wahl durch den Parteivorsitz in größtmöglicher Öffentlichkeit verlautbaren lässt, mit dem gesamten politischen Spektrum von rot-grün bis gelb-schwarzkoalitionsfähig sein zu wollen, und sich jener entstehenden Machtkoalition anschließen zu wollen, jene Partei gibt nicht nur jede politische Position auf, jene Organisation führt die eigene Bezeichnung „Partei“ ad absurdum: Eine Partei, die mit allen Parteien übereinstimmen will, löst sich selbst auf: Für eine unbekannte Partei ein todsicheres Selbstmordkommando.
Jene, die dies bei den Freien Wählern zu verantworten haben, würden gut daran tun, zu überlegen, warum sie eine gewachsene politische Vereinigung von freien Bürgern mit in den Abgrund der Bedeutungslosigkeit reißen wollen. Denn eine Partei ohne ausdrückliche Parteilichkeit ist ohne Bedeutung - und erlangt nur für den politischen Gegner die höchste Qualität.
G. Andreas Kämmerer, den 23. Januar 2013