Die unbewältigten Traumata der Kriegskinder

Eine Veranstaltung des städtischen Amtes für Gesundheit

Die unbewältigten Traumata der Kriegskinder
© C. Falk - pixelio.de


“Rund sechzehn Millionen Kinder lebten in Hitlerdeutschland. Welche Spuren haben Krieg und Vertreibung hinterlassen? In welchem Ausmaß war das weitere Leben davon belastet? Wie hat man die Erinnerungen an frühe Schrecken und Verluste auf Abstand halten können? Wie geht es der Kriegskindergeneration heute? Brechen im Alter schlecht vernarbte seelische Wunden wieder auf?“ Antworten auf diese Fragen gab kürzlich ein Vortrag im Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt. Referentin des „Die langen Schatten – über die Folgen einer Kriegskindheit“ betitelten Vortrags war Sabine Bode, eine freie Journalistin und Buchautorin aus Köln. Die Veranstaltung gehörte zur monatlichen Veranstaltungsreihe „Gesundheit im Alter – den Jahren mehr Leben geben“.

Das Interesse war überwältigend: Das Auditorium war voll bis auf den letzten Platz! Um den weit über 100, meist Älterem, zum Sitzplatz zu verhelfen, wurden noch schnell weitere Stühle herbei geschafft. Referentin Sabine Bode, mit Jahrgang 1947 ein Nachkriegskind, sagte gleich zu Beginn: „Mich interessieren die sogenannten ‚stillen Themen‘, nicht ‚Mann beißt Hund‘“. Drei ältere Geschwister habe sie, die in den frühen 40ern geboren wurden: „Die sind so anders als ich!“ Für ihr erstes Buch „Die vergessene Generation“, das 2004 im Klett-Cotta-Verlag erschien, habe sie sich mit den Jahrgängen 1930 bis 1945 beschäftigt. Auf das Thema brachte sie damals der Bosnien-Krieg: „Der war ja so nah!“

„Kaum jemand interessierte sich bis dahin für das Schicksal der Kriegskinder“, stellte Frau Bode fest: „Weder die Kinder des Krieges selbst, noch Psychologen, noch sonst wer.“ So bekam sie bei ihren Recherchen für ihr Buch bei 200 angesprochenen einstigen Kindern des Krieges nur sechs Antworten! Eine solch magere Reaktion? Bode: „Das war für uns damals normal.“ Doch schon 1997, bei ihrer ersten Hörfunksendung zum Thema Kriegskinder, bekam sie hunderte von Zuschriften! Doch eine zweite Sendung zu diesem Thema gab erst 2005, über sieben Jahre später! Frau Bode musste bei ihren Recherchen feststellen, dass es reichlich Literatur über die 14 Million Vertriebenen gab, aber nichts über hunderttausende vertriebene Kinder.

Doch in den 50er Jahren brachte der Klett-Verlag ein Heftchen für 1,20 DM heraus. Einen Erziehungsratgeber, wie man mit den Folgen der traumatisierten Kinder umzugehen habe, also mit Bettnässen, Nägel abbeißen, Stottern. Schon ab Kriegsende wurde den Kindern nahegelegt: Vergiss alles. Sei froh, dass du davongekommen bist, sieh nach vorn! Bewältigung durch harte Arbeit war die Maxime. Doch nach Jahrzehnten brechen die schlimmen Erinnerungen wieder durch – mit Angstzuständen, Albträumen, ja Panikattacken. Die Verdrängung ist eben nicht gelungen, die Traumata brechen nach Jahrzehnten im Alter wieder auf, auch als Teil der Altersdepression.

Erst 2005 kam das Thema „Kriegskinder“ in der Gesellschaft an, nämlich mit der 1. Kriegskinderkonferenz in Frankfurt. Diese gab den Startschuss für die öffentliche Bearbeitung dieses Themas mit Forschungsstudien. Sie ergaben, dass acht bis zehn Prozent der nun alt gewordenen Kriegskinder unter posttraumatischen Störungen leiden! In den Jahrzehnten zuvor wurde bei den erwachsen gewordenen Kriegskindern ein hohes Bedürfnis nach materieller Sicherheit festgestellt. Andererseits konnten sie sich auf alles Neues schlecht einstellen. Kriegskinder nannten sich selbst Nachkriegskinder, was zu einer gestörten Identität führte und die Aspekte der Kindheit verdrängte. Nun wollen die Kriegskinder im letzten Lebensabschnitt ihren Frieden finden.

Als Beispiel von Selbstbewältigungsstrategien brachte Frau Bode das Gedicht eines 10-Jährigen Flüchtlingskindes. Die Flucht wird zuerst als großes Abenteuer erlebt. Dann wird der Treck von der Sowjetarmee eingeholt: Pferd und Wagen gehen verloren, die Mutter wird vergewaltigt, der kleine Bruder bleibt zurück. Abrupt bricht das Gedicht ab … (Der rettende Westen findet nicht mehr statt).

Frau Bode zitiert auch aus dem Buch von Gudrun Baumann. Geboren 1937, wurde diese zu einer erfolgreichen Ballettlehrerin. „Erfolg zu haben, das ist“, so Frau Bode, „typisch für Kriegskinder“. Aus deren Buch zitiert Frau Bode auch in ihrem ersten Buch „Die vergessene Generation“: So wie sie als Schulkind auf offener Straße ganz allein den Bombenhagel überlebte, weil die Bunkertüren schon geschlossen waren. Die Folge: „Ich lebe eigentlich mit einer Behinderung“: Viele Beziehungen zerbrachen in ihrem Leben. Sie habe ein merkwürdiges Gedächtnis. Das Langzeitgedächtnis sei bis zum 9. Lebensjahr, wo für Frau Baumann der Krieg endete, „weg“. Auch habe sie nie über ihre frühe Kindheit erzählt. Bode: Diese Kinder sind auf Katastrophe geprägt worden, nicht auf Genuss, Vertrauen, Verspieltheit.

Die unverarbeiteten Lebenskatastrophen werden an die Folgegenerationen weiter gegeben:
Flucht, Bombenkrieg, Vaterlosigkeit, Flüchtlinge, die sich in der neuen Heimat nicht angekommen fühlen. Die Gräber ihrer Vorfahren sind nicht betretbar. Das hat Folgen, auch bei den Nachfolgegenerationen: Ehen werden geschieden, Kinder kommen erst im späteren Lebensalter. So hat Sabine Bode 2009 ihr zweites Buch herausgebracht: „Kriegsenkel – Die Erben der vergessenen Generation“. Und 2011 die Generationenlücke geschlossen mit „Nachkriegskinder – Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter“. Beide Bücher erschienen ebenfalls im Verlag Klett-Cotta.

Das Thema Schuld spielte in der anschließenden Diskussion die Hauptrolle. Ein älterer Herr gab an, „das Kind von Nazieltern zu sein.“ Dagegen eine 79-Jährige: „Ich möchte mich nicht mehr schuldig fühlen.“ Ein weiterer älterer Herr: „Ich bin Jurist, Jahrgang 1936. Mir geht jedes Schuldgefühl ab.“ Die so gutbesuchte Veranstaltung zeigte, wie groß bei den Deutschen das Interesse und Bedürfnis daran ist, endlich auch über die eigenen Leiden im Krieg und die Folgen zu reden. Dazu wird in Frankfurt 2014 anlässlich des 70. Jahrestages der Zerstörung der Altstadt durch alliierte Bombenangriffe noch einmal ausführlich Gelegenheit sein. Denn auch in Frankfurt leben noch viele Menschen mit traumatischen Erinnerungen an die Hölle, die vom Himmel fiel.


D. Schreiber

Leserkommentare (2)

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Ich befürchte, das Gedenken an den 70. Jahrestag der Zerstörung von Frankfurt wird genauso ablaufen, wie in Dresden:

Wer wirklich der Opfer gedenken will, ist ein Nazi und basta!

Geschichte, das sind die Lügen, auf die sich die Sieger geeinigt haben, lehrt schon Voltaire...

Hi,

Leute das is Urzeiten her!!!

Wir sind auch aus unserem Land im heutigen Polen vertrieben worden. Adenauer hat das leider geschehen lassen und dafür keine Präambel im GG angestrebt. Die Nachkommen dieser "Ja-Sager" regieren immer noch ob SPD, CDU, LINKE, usw. alle gleichgeschaltet und EU verliebt.

Unsere deutschen Bürger wollen doch den Mist glauben den ARD und ZDF senden. Euere Bemühungen in ehren aber ändern wird sich da nix.

Die einzige Möglichkeit die Kriegsopfer zu ehren ist unsere demokratischen Werte und wofür sie gelitten haben zu bewahren. Ein stolzes Volk zu sein.

MfG

Freidenker