Die „Vielfalt“ will das Volk nicht mehr
Zum Hintergrund zweier Theaterschicksale in Frankfurt

In einigen Wochen wird das Volkstheater in Frankfurt nach über 40-jähriger Existenz geschlossen, die als modernisierte Nachfolgeinstitution „Fliegende Volksbühne“ hingegen wird erst gar nicht den Spielbetrieb aufnehmen. Volk und Theater, Volk und Bühne – diese Kombinationen wird es in der Stadt der multikulturellen „Vielfalt“ künftig nicht mehr geben. Es gibt eine Reihe von Gründen, warum es künftig nicht mehr das von der Volksschauspielerin Liesel Christ gegründete Volkstheater neben dem Goethehaus geben wird. Es gibt auch Gründe, warum auf die geplante Etablierung der „Fliegenden Volksbühne“ des beliebten Schauspielers Michael Quast in Sachsenhausen nun verzichtet werden soll. Manche dieser Gründe sind nachvollziehbar, andere nur vorgeschoben, einige mehr als fragwürdig.
In dieser Betrachtung soll darauf aber nicht näher eigegangen werden. Hier interessiert die Antwort auf die Frage, ob es nicht tiefere Ursachen für das Verschwinden des Begriffs „Volk“ im Zusammenhang mit einer kulturellen Institution gibt. Es ist in Frankfurt nicht schwer, darauf eine Antwort zu finden. Denn in der zugleich kapitalistischsten und internationalsten Stadt Deutschlands ist es eine geradezu zwangsläufige Entwicklung, dass das Volk im Sinne der einheimischen deutschen Bevölkerung mit mehr oder weniger ausgeprägten südhessischem Sprachdialekt nicht nur als selbstbewusstes Subjekt verschwindet, sondern auch begrifflich liquidiert wird. Das von allen Parteien im Römer gegen den alleinigen Widerstand der Freien Wähler in Frankfurt im Herbst 2010 verabschiedete „Vielfalt“-Konzept hatte keinen Zweifel gelassen: Für das Volk im traditionellen Sinn ist in der Großstadt am Main kein Platz mehr.
Wer will, kann darin eine Ignorierung oder gar eine Missachtung des Grundgesetzes erkennen, in dessen Präambel gleich zweimal das Wort „Volk“ zu lesen ist. Aber das hat im Herbst 2010 weder die übergroße Mehrheit der Stadtverordneten und Magistratsmitglieder noch die allermeisten Bürgerinnen und Bürger gestört, geschweige denn in Aufruhr gebracht. Es war und ist der Triumph der in nationalem Selbsthass gefangenen Grünen sowie der internationalistischen Linken, mit dem „Vielfalt“-Konzept in Frankfurt nicht nur das Ziel der Integration beerdigt, sondern die Stadt auch sozusagen ent-volkt zu haben. Seitdem gibt es nämlich nur noch Wähler, Konsumenten, Verbraucher, Ethnien, Kulturen, Religionen und vieles mehr in Frankfurt – aber eben kein Volk mehr.
Immerhin gab es aber im jenem Herbst 2010 noch das Volkstheater. Doch schon damals war dieses schon zum Tode verurteilt von einem Kulturdezernenten, der aus politischen Karrieregründen von der SPD zur CDU gewechselt war, aber tatsächlich von durch und durch grün-zeitgeistiger Gesinnung ist. Schon damals war sein erster Versuch, die Leitung des Volkstheaters zugunsten eines „progressiven“ Kandidaten zu entmachten, nur knapp am beharrlichen Widerstand der Töchter von Liesel Christ gescheitert. Diese vorläufige Niederlage hat der Kulturdezernent nie verwunden und deshalb alles daran gesetzt, die in die Jahre gekommenen Christ-Erbinnen zu zermürben. Das ist ihm auch letztlich gelungen.
Es wäre aber falsch, ungerecht und auch viel zu oberflächlich, nun diese unglückseligen CDU-Politiker zum Alleinschuldigen am Ende des Volkstheaters abstempeln zu wollen. Vielmehr ist dieser Mann – ob nun bewusst oder nicht – auch nur einer der Vollstrecker jener Ideologie und gesellschaftlichen Entwicklung, in der für das „Volk“ weder als Subjekt noch als Souverän und noch nicht einmal als Begriff noch Platz ist. Damit ist jedoch, das sei allen gesagt, die darob zu resignieren oder zu verzweifeln geneigt sind, nicht das Volk als kollektive Realität verschwunden. Allerdings muss sich das Volk neu konstituieren, will es nicht zum atomisierten Spielball der „Vielfalt“ und der vielfältigen Nutznießer dieses ideologisch formulierten und ökonomisch sehr profitabel verwertbaren Konzepts werden.
Wo aber das Volk verschwindet, verschwinden die Demokratie und der Sozialstaat, der einzig auf der Arbeit und der Solidarität des Volkes beruht. Und wo das Volkstheater zum Auslaufmodell geworden ist, will man vom Volk nichts mehr wissen, es allerdings kräftiger denn je weiter melken. Erst wenn das Volk sich mit Macht zurückmeldet - auf der Bühne der Realität wie des Theaters, In Frankfurt wie in Deutschland und anderswo - wird diesem bösen Spuk ein Ende bereitet.
Wolfgang Hübner