Chancen und Probleme einer neuen Parteigründung
„Alternative für Deutschland“ will in den Bundestag

Mit der Gründung der „Alternative für Deutschland“ hat die „Wahlalternative 2013“, bislang Kooperationspartner der FREIEN WÄHLER-Partei (Bundesvereinigung), den Schritt zur Bundespartei und in die Eigenständigkeit getan. Diese Tatsache ändert die Ausgangslage für die Freien Wähler, die zur Bundestagswahl kandidieren wollen, erheblich. Die folgenden Betrachtungen sollen zu einer Diskussion ermuntern, die leider vom FW-Bundesvorstand nicht öffentlich geführt und auch nicht gefördert wird.
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Die „Wahlalternative 2013“ (WA2013) hat mit ihrer nun verbreiteten Entscheidung, als Bundespartei „Alternative für Deutschland“ aufzutreten, die Konsequenzen aus dem Mehrheitswillen ihrer derzeit mehr als 10.000 namentlich bekannten Unterstützer gezogen. Zugleich bedeutet die Parteigründung die endgültige Absage an die ursprünglich beabsichtigte Kooperation mit der Bundesvereinigung der FREIEN WÄHLER (FW). Die Verantwortung für das Scheitern dieser Kooperation trägt eindeutig der FW-Bundesvorstand mit dem Vorsitzenden Hubert Aiwanger.
Der FW-Bundesvorsitzende hat dieser Kooperation mit einem durchaus gutwilligen, wenngleich etwas zu gutgläubigen Partner nie die Bedeutung beigemessen, die infolge der Prominenz der WA2013-Initiatoren wie der großen Zahl der Unterstützer erforderlich gewesen wäre. Offenbar hat der FW-Bundesvorsitzende die WA2013 auch über die tatsächliche Schwäche der FW-Partei und deren - mit Ausnahme Bayerns – faktischer Kampagnenunfähigkeit im Unklaren gelassen.
So bedurfte es der 1,1-Prozent-Pleite bei den Landtagswahlen in Niedersachsen, um dem Führungskreis der WA2013 keine andere Wahl zu lassen, sich selbst die Mühsal einer Parteiengründung aufzuerlegen. Denn in Kooperation mit der FW-Partei wäre nicht nur ein negatives Resultat bei der Bundestagwahl am 22. September wahrscheinlich gewesen, auch schon im Vorfeld bei der Aufstellung der Kandidatenlisten wäre es unvermeidlich zu Konflikten gekommen. Aiwangers abschätzige Bemerkungen zum Verhältnis mit der WA2013 auf der Mitgliederversammlung der FW-Partei in Wolfsburg im letzten Herbst hatten nämlich sinngemäß signalisiert: Die sollen uns ruhig helfen, verlangen dürfen die aber nichts.
Nicht besser ist der FW-Bundesvorsitzende mit den eigenen Mitgliedern umgegangen: Bis heute gibt es keine einzige Stellungnahme der FW-Parteispitze über Chancen, Probleme und Perspektiven der Kooperation mit der WA 2013, geschweige denn dokumentierte Vereinbarungen mit dieser. Das war und ist eine Missachtung der Rechte der Mitglieder der FW-Partei auf Transparenz und innerorganisatorische Demokratie. Wer solches bei anderen Parteien einfordert, aber selbst in geradezu provokativer Weise verweigert, wirkt nicht glaubwürdig.
Der FW-Bundesvorsitzende Hubert Aiwanger und der gesamte Bundesvorstand der FW-Partei haben auch deshalb versagt, weil mit der Parteibildung der WA2013 auf örtlicher Ebene zwangsläufig Gruppen entstehen, die zu Konkurrenten der FW-Organisationen bei Kommunalwahlen werden könnten. Die WA2013 hatte bekanntlich keinerlei Ambitionen, den Freien Wählern deren eigentliches politische Aktionsfeld streitig zu machen – im Gegenteil, die kommunale Verankerung der FW war ja der Anreiz für die erhoffte Partnerschaft. Was nun dabei herausgekommen ist, kann aus der FW-Perspektive nur als desaströs bezeichnet werden
Das Ansinnen der WA2013, sich der FW-Partei als loyaler Partner anzudienen, war sympathisch, doch letztlich unrealistisch. Das spät, aber vielleicht nicht zu spät eingesehen und daraus Konsequenzen gezogen zu haben, ehrt die führenden Aktivisten der WA2013. Ihr Sprecher Prof. Bernd Lucke hat die Unterstützer auch immer wieder über den Fortgang der Entwicklung informiert, ganz im Gegenteil zu dem FW-Bundesvorsitzenden. Die Absicht der WA2013, die FW-Partei als Partner zu nutzen, war deshalb sympathisch, weil es der Versuch war, nicht gleich eigene organisatorische Wege mit dem Ergebnis weiterer Zersplitterung der eurokritischen Kräfte zu gehen, sondern eine als hoffnungsvoll und perspektivreich eingeschätzte junge Partei durch viele prominente Persönlichkeiten und eine große Zahl von Unterstützern zu stärken. Dieses Vorgehen war zugleich aber auch politisch naiv. Denn ihm lag die Fehleinschätzung zugrunde, dass die FW-Partei automatisch offener und transparenter wäre als andere Parteien. Das ist aber offenbar nicht der Fall.
Noch schwerer wiegt allerdings eine andere Fehleinschätzung: Das Hauptanliegen der WA2013, nämlich die Kritik an der verhängnisvollen Euro-Rettungspolitik, spielt bei der FW-Partei nur oberflächlich die Hauptrolle. Weder wurde dieses Thema bei der FW-Partei bislang glaubwürdig entwickelt noch wird es von den führenden Personen derzeit kompetent vertreten. Bis Herbst 2011 war es unter den Freien Wählern mit Ausnahme weniger Gruppen wie der in Frankfurt auch gar kein im Vordergrund stehendes Thema. Und wie unglaubwürdig besonders der Bundesvorsitzende Aiwanger selbst bei diesem Thema ist, zeigt seine Absicht, bei entsprechendem Wahlergebnis in Bayern ein Bündnis mit SPD und Grünen einzugehen. Das aber sind bekanntlich Parteien, die bei der Euro-Rettung noch schädlichere Positionen vertreten als CDU/CSU und FDP.
Nun also hat sich die WA2013 als Bundespartei „Alternative für Deutschland“ gegründet. Damit verbunden sind erhebliche politische, organisatorische, personelle und natürlich auch finanzielle Anstrengungen, wenn dieser Gründung zumindest ein Achtungserfolg bei den Bundestagswahlen folgen soll. Unabdingbare Voraussetzung dafür sind klare, plakative und damit massenwirksame Aussagen zur Euro-Rettung als dem Kernthema sowie sich deutliche vom Parteienblock unterscheidende Positionen bei den Themen Demokratie, Energie, Finanzen, Familie/Demographie, Bildung, Einwanderung/Islam und innere Sicherheit. Das ist inhaltlich mehr als bislang von der WA2013 beabsichtigt.
Zwar bedarf es bei den genannten Themen keiner Zuspitzungen, aber ganz ohne Positionen zu diesen Themen wird die Wahl der „Alternative für Deutschland“ zu einer politischen Reise ins Blaue. Diese werden viele potentiellen Wähler aber scheuen. Denn sie wollen und müssen wissen, wohin die Reise der neuen Partei mit ihrer Zustimmung gehen soll. Das betrifft nicht zuletzt auch die sozialpolitischen Positionen. Diese müssen derzeit noch keineswegs umfassend ausformuliert werden. Aber es sollte schon klar werden, dass die „Alternative“ keineswegs nur eine Partei kritischer Akademiker und Besitzbürger ist, sondern die Euro-Politik der etablierten Parteien auch gerade deshalb verwirft, weil diese Euro-Politik bereits zutiefst unsoziale Folgen hat und noch viel mehr haben wird. Es muss deshalb eine Losung im Bundestagswahlkampf in den Mittelpunkt der „Alternative“ gestellt werden: Ohne Nationalstaat kein Sozialstaat!
Es wird höchstwahrscheinlich erhebliche Ängste gerade in prominenten Kreisen der Initiatoren der WA2013 geben, mit erkennbar realistischen Positionen zu den oben aufgeführten Themen gegen das informelle Diktat der „Politischen Korrektheit“ zu verstoßen und dafür vom Parteienblock sowie den gleichgeschalteten Massenmedien in die „rechte“ Ecke gestellt werden. Doch sollte das schon deshalb nicht gefürchtet werden, weil allein die Kritik an der Euro-Rettung als Kernthema dazu führen wird, die „Alternative“ unter Rechtsverdacht zu stellen. Wer das scheut, sollte nicht in die Manege gehen. Und wer das scheut, wird auch nicht das erheblich große Wählerpotential gewinnen können, das gerade bei den Themen Einwanderung/Islam, innere Sicherheit und Familie sich schon lange von den etablierten politischen Kräften ignoriert, ja verraten fühlt.
Selbstverständlich muss sich die „Alternative“ von Rechtsextremismus, rechten Kleinparteien und Verschwörungstheorien strikt fernhalten. Aber sie darf keinesfalls – wie das leider im Programm und Praxis der FW-Partei zum Ausdruck kommt -, aus lauter Angst vor dem Tode Selbstmord begehen, also jegliche Konfrontation mit der „Politischen Korrektheit“ scheuen. Deutschland wartet auf eine politische Kraft, die das in seriöser, selbstbewusster Weise nicht tut. Ob die neue Partei diese Kraft sein will und wird, entscheidet sie selbst. Doch nur wenn sie es will und wird, kann sie Erfolg bei der Masse der Wähler haben.
Organisatorisch wird die Parteigründung so wenige Monate vor der Bundestagswahl ein Kraftakt. Die Bestimmungen des Parteiengesetzes müssen erfüllt werden, also auch die Einzelmitgliedschaft als Voraussetzung für die Aufstellung von Kandidatenlisten. Die spannende Frage wird sein: Wer von den derzeit 10.000 Unterstützern wird nun auch den Schritt zur Mitgliedschaft vollziehen? Und wer von den künftigen Mitgliedern wird aktiv in der Partei tätig werden? Wer ist bereit, den Kopf besonders weit zu heben, was in aller Regel auch angreifbar macht? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt das Schicksal der neuen Partei nicht weniger ab als von der Durchschlagkraft ihrer politischen Argumente.
Extrem wichtig für die neue Partei wird sein, welche Personen sie der Öffentlichkeit an der Spitze präsentieren kann. Es müssen auf jeden Fall prominente Personen sein, die geistig und finanziell unabhängig genug sind, um dem zu erwartenden Druck Stand zu halten und die bei öffentlichen Auftritten bei Veranstaltungen und den Medien in jeder Weise ein gute Figur machen können. Bei der Auswahl der Listen- und Wahlkreiskandidaten sollten nur solche Personen bestimmt werden, die keine Konjunkturritter, Karrieristen oder bereits mehrfach gescheiterte politische Existenzen sind. Der Parteienblock wird jede personelle Schwachstelle gnadenlos denunzieren, also darf man sich in dieser Beziehung keine Blöße geben. Im Zweifelsfall sollte besser auf einen Direktkandidaten verzichtet werden, bevor eine fragwürdige Person ins Rennen geschickt wird.
All das ist leicht, wenngleich nicht leichtfertig gesagt und geschrieben, doch in der praktischen Umsetzung sehr schwierig. Nur wenn die „Alternative“ diese erste große Hürde ohne Sturz übersteht, kann sie zumindest mit der reellen Aussicht auf einen Achtungserfolg, vielleicht auch mehr, bei den Bundestagswahlen antreten. Dass nach einem derzeit noch nicht sehr wahrscheinlichen Wahlerfolg noch ganz andere Probleme und Herausforderungen auf die neue Partei zukommen werden, sollte auch klar sein, muss aber jetzt noch nicht zum Thema werden.
Können die Aussichten der neuen „Alternative für Deutschland“ derzeit zumindest als offen bezeichnet werden, muss bei realistischer Betrachtung diejenigen der FW-Partei leider einstweilen als aussichtslos eingeschätzt werden. Mit Ausnahme Bayerns gibt es bislang in keinem einzigen Bundesland FW-Parteiorganisationen, die einen aussichtsreichen Bundestagswahlkampf führen könnten. Selbst in Bayern dürften alle Kräfte auf die kurz davor stattfindenden Landtagswahlen konzentriert sein. Die Kooperation mit der WA2013 hatte der noch sehr unfertigen FW-Partei die Chance geboten, mit prominenter Unterstützung und vielen Helfern und Spendern zumindest einen Achtungserfolg zu erzielen. Diese Chance ist vertan, eine neue ist nicht zu erkennen.
Sollte die Aiwanger-Führung die FW-Partei dennoch in ein aussichtloses Rennen jagen, werden selbst etliche Parteimitglieder nur verhalten Aktivitäten entwickeln. Schon gar nicht werden sich all die vielen Freien Wähler allerorten gewinnen lassen, die schon immer oder schon wieder der Parteibildung ablehnend gegenüber stehen. Die FW-Partei wird sich ohnehin im Falle eines erfolgreichen Starts der “Alternative“ sehr schnell mit der Frage konfrontiert sehen, ob eine Beteiligung an der Bundestagswahl überhaupt noch Sinn macht.
Die entscheidenden Kriterien bei dieser Entscheidung müssen inhaltliche, nicht aber organisationspolitische Erwägungen sein. Nach bisheriger Erfahrung spricht leider alles dafür, dass genau das nicht der Fall sein wird. Dann aber werden nicht wenige derer die FW-Partei wieder verlassen, die Hoffnungen hegten, diese könne der Kritik an der Euro-Politik einen Erfolg versprechenden Ausdruck geben. Wer ernstlich Veränderungen in Deutschland will, muss sich dort engagieren, wo die Aussichten dafür am besten erscheinen.
Nach der Gründung der „Alternative für Deutschland“ spricht nicht nur der verheißungsvolle Name der neuen Partei für einen Versuch, der nicht gut enden muss, aber kann. Hingegen spricht momentan nichts mehr dafür, Hoffnungen in den Alleingang einer FW-Partei zu setzen, deren Vorsitzender und Vorstand eine große Chance so leichtfertig und übermütig vertan haben. Darüber kann man als langjähriger Freier Wähler und engagierter Befürworter der Teilnahme an überregionalen Wahlen traurig, aber auch zornig sein.
In der gegenwärtigen Lage dürfte es für die FW-Bundesvereinigung deshalb sinnvoll sein, eigene Ambitionen zurückzustellen und stattdessen die „Alternative für Deutschland“ zu unterstützen. Damit könnte die ursprünglich anvisierte Kooperation erneuert und Vertrauen wieder hergestellt werden – allerdings unter veränderten Vorzeichen. Auf diese Weise könnten auch die speziellen Inhalte und kommunalen Verankerungen der FW in die Politik der „Alternative für Deutschland“ mit Erfolg einwirken. Es wäre der Weg der praktischen politischen Vernunft.
Wolfgang Hübner