Wer Energie spart, braucht mehr Strom
Ein wenig Nachhilfe aus naturwissenschaftlicher Sicht

Unser FW-Vertreter im Ortsbeirat 2 (Westend/Bockenheim/Kuhwald/Rebstock), der Physiker Knut Emmert, wurde aufgefordert, sich an der Aktion „Frankfurt spart Strom“ zu beteiligen. Herr Emmert verfasste daraufhin eine Stellungnahme, die er dem Ortsvorsteher zugesendet hat. Wir veröffentlichen den gesamten Text, der Interesse verdient.
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Nachdem ich 37 Jahre in der Energiewirtschaft gearbeitet habe, und dabei auch in Arbeitskreisen, Gremien aller Art, bei Genehmigungsverfahren etc. aktiv war, erlaube ich mir den Anspruch, mich mit Energiefragen leidlich auszukennen. Nehmen Sie es mir deshalb nicht übel, wenn ich Ihnen hier meine Absage zur Mitarbeit mit einer angemessenen Begründung sende.
Sicher ist es vernünftig, Energie zu sparen. Aber nicht, um Energie zu sparen. Sondern um Ziele zu erreichen, die wir mit der Einsparung von Energie besser erreichen können als ohne. Eines dieser Ziele ist sicher, die individuellen Energiekosten zu senken, um mehr vom meist ohnehin knappen Einkommen für andere wichtige Dinge übrig zu haben. Für dieses Ziel ist auch die Einsparung von Strom sinnvoll. Darauf komme ich am Ende des Textes mit einer praktischen Empfehlung zurück.
Für die Industrie ist Energiesparen schon seit Langem angesagt, weil Energie ein Kostenfaktor ist, der die Gewinnmargen schmälert. Deshalb ist dort - wenn auch immer noch etwas - doch am Ende recht wenig Effekt zu erzielen, weil die meisten Sparanstrengungen bereits in der Vergangenheit gemacht wurden. Allerdings funktioniert das Energiesparen hauptsächlich dadurch, daß man Wärmeenergie einspart und mechanische Energie rationaler zur Verfügung stellt. In beiden Fällen ist ein erhöhter Einsatz von Elektrizität (vulgo "Strom") notwendig, sowohl als direkter Ersatz, als auch als Steuerungsenergie der nötigen Leistungselektronik. Energiesparen geht also einher mit höherem Stromverbrauch. Wer das nicht kapiert, mag ans perpetuum mobile glauben - das physikalische Naturgesetz der Energieerhaltung kann weder durch Parlamentsbeschluß noch durch heftiges Glauben geändert werden.
Für die Nation als Ganzes ist Stromsparen unsinnig. Energiesparen ist notwendig, in Form von Einsparung des Energiebedarfs für Wärme und Bewegung, insbesondere für Transport (Transport von Menschen und Gütern; Bewegung ist auch die Bewegung von Maschinen in der Produktion; in beiden Fällen handelt es sich physikalisch aber um Bewegungsenergie). Dafür sind zwei wesentliche Ziele maßgeblich: die Reduktion der Importabhängigkeit (welche ein Land politisch erpreßbar macht), und die Reduktion klimawirksamer Emissionen. In beiden Fällen geht es also um fossile Energiequellen: Kohle, Erdöl, Erdgas. Diese müssen eingespart werden. Aus den beiden genannten Gründen, und weil es sich um wertvolle Rohstoffe handelt, die in absehbarer Zeit zur Neige gehen. (Versuchen Sie einmal, sich vorzustellen, wie Ihr Haushalt aussähe,
wenn schlagartig alle ölbasierten Kunststoffe verschwänden. Und denken Sie daran, daß auch, wenn sie Kleidung aus Baumwolle, Geräte aus Aluminium oder Bücher aus Papier besitzen, zu deren Produktion und Transport mannigfache Kunstoffteile verwendet wurden, so daß auch diese Dinge ohne Öl nicht bei Ihnen wären.)
Die EU gibt pro Tag (!) 1 Milliarde Euro für Ölimporte aus. Deutschlands Abhängigkeit von den Gaslieferungen eines einzigen Lieferanten (Gazprom) wächst. Wenn Frankfurt etwas Gutes tun will, dann soll es Öl und Gas sparen. Das wird aber im Endeffekt nur gehen, wenn es mehr Strom einsetzt. Mehr Strom, nicht weniger.
Schiefergas wird uns vielleicht vor Putins Erpressung, aber nicht vorm Klimawandel retten, denn die Verbrennung des Gases setzt natürlich ebenfalls CO2 frei, genauso wie die Verbrennung von Erdgas und Öl und Kohle. Und in USA, wo Schiefergas seit einiger Zeit stark gefördert wird, ist in den betroffenen Gebieten die Erdbebenhäufigkeit (und damit die Zahl der Schäden an Gebäuden) um den Faktor 20 gewachsen.
Wasserstoff ist keine Lösung, da Wasserstoff zwar einerseits zu Wasser verbrennt statt zu CO2, aber andererseits bei höherer Temperatur verbrennt, was - bei Verbrennung an Luft - mit einem erhöhten Ausstoß von Stickstoffoxiden verbunden ist, wobei ein Lachgas-Molekül die bis zu 400-fache Klimawirksamkeit eines CO2-Moleküls hat.
Für die Kommune heißt das: mehr elektrische S-, U- und Straßenbahnen; Busse und Taxis mit Elektroantrieb; Wärmedämmung städtischer Gebäude; Ersatz von Öl- und Gasheizungen durch Erdreich-Wärmepumpenanlagen (aber sind sie nur punktuell einsetzbar, da sie bei flächendeckendem Einsatz die Vegetation absterben lassen; und nein, das hat mit Erdwärme nichts zu tun), Solarkollektoren und elektrische Zusatzheizung.
Und nein, Busse mit Erdgas-Antrieb sind eine Lösung, an die nur Dumme glauben. Zwar ist tatsächlich die CO2-Emission pro kWh Bewegungs- oder elektrischer Energie geringer als bei der Verbrennung von Kohle (weshalb unzählige Lügenbolde oder Dummbeutel die Bürger verhohnepiepeln mit der Behauptung, Erdgaskraftwerke seien klimafreundlicher als Kohlekraftwerke), dabei wird aber nie mit eingerechnet, daß von allem geförderten Erdgas ein Teil nicht in die Pipelines, sondern in die Atmosphäre strömt. Und da ein Methan-Molekül die 23-fache Klimawirksamkeit eines CO2-Moleküls hat, sind auch kleine Leckagemengen schon wesentlich. Je nachdem, wer die Schätzung durchführt, erhält man Methan-Leckagen zwischen 1,8 und 7 % der Förderung - das entspricht zusätzlichen CO2-äquivalenten Emissionen von 40 - 160 %. Je nachdem, ob man die niedrige, oder die höhere Schätzung akzeptiert, ist ein Erdgaskraftwerk gleich bedenklich wie ein Steinkohlekraftwerk oder sogar weitaus schlimmer als die schlimmste Braunkohledreckschleuder. Und das gilt analog auch für Erdgas-betriebene Busse und Autos.
Das Verbot der Elektroheizung in Deutschland gehört zu den zahlreichen Skurrilitäten der deutschen Energiepolitik. Elektroheizung ist so lange bedenklich, wie der Strom aus fossil befeuerten Kraftwerken stammt, weil - wegen der ungünstigen Wirkungsgradkette - relativ wenig Strom mit relativ viel Rohstoffverbrauch verbunden ist. Kommt mein Strom aber aus Sonne und Wind, dann ist mir der Wirkungsgrad egal (ein Solarkollektor liegt bei ca. 18 %, das ist weniger als Kohlekraftwerk + Elektroheizung, die in der Kette auf 25% kommen; nebenbei: der Verbrennungsmotor im Auto hat nur 15% Wirkungsgrad); wenn der Strom aus Kernkraftwerken kommt, ist mir der Wirkungsgrad ebenfalls egal, weil Uran zu nichts anderem taugt als zur Energielieferung (allerdings halte ich die Verwendung des Schwermetalls Uran als harte Spitze für panzerbrechende Geschosse nicht wirklich für eine sinnvolle Anwendung, was man beim Militär möglicherweise anders sieht).
Auch hier also: im Endeffekt läuft sinnvolles Energiesparen auf erhöhten Strombedarf hinaus. In dem Zusammenhang sollte man vielleicht bedenken, daß wir derzeit in Deutschland häufig so viel Strom aus Wind- und Solaranlagen erzeugen, daß wir den Überschußstrom ins Ausland abdrücken - wo dann konventionelle Kraftwerke heruntergefahren werden müssen, was deren Wirtschaftlichkeit ruiniert, weshalb Deutschland seinen Nachbarn zusätzlich zum Wind- und Solarstrom auch noch Geld liefern muß, um die wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen, die unsere europäischen Partner von der Abnahme unserer Überproduktion haben. Und dieses Geld stammt - ebenso wie die Subventionierung der energieintensiven Industrie - vom kleinen Privat-Verbraucher: auch von jedem Bürger des Ortsbezirks 2.
Stromsparen ist auf diesem Hintergrund nicht nur sinnlos, sondern lächerlich bis absurd.
Das Ziel "Frankfurt spart Strom" kann man auf die Aufklärung der Bürger zu vernünftigem Verhalten beschränken (obwohl doch jeder wissen sollte, daß es unsinnig ist, den Fernsehapparat laufen zu lassen, wenn man gar nicht hinsieht, Elektrogeräte auf Stand-by zu lassen, wo sie ständig nutzlos Strom ziehen, nur damit der Benutzer beim Einschalten nicht 25, sondern nur 13 Sekunden warten muß, usw.).
Dabei sollte man aber die Propaganda für sogenannte Energiesparlampen unterlassen, denn auch das ist nur ein Lügenmärchen. Daß der integrale Lebenszeit-Energiebedarf (also Produktion + Betrieb) der Beleuchtung mit sog. Energiesparlampen geringer wäre als mit Glühbirnen, ist nirgends bewiesen worden - schon allein deshalb, weil noch nie eine solche Lampe so lange funktioniert hätte, daß sie diese Einsparung hätte zeigen können. (Letztes Jahr besuchte ich Bekannte, die am Mittagstisch erzählten, daß sie jetzt überall Energiesparlampen eingesetzt hätten - 5 Minuten später war die erste defekt...) Von unterschiedlicher spektraler Zusammensetzung des Lichtes mit entsprechenden psychischen Auswirkungen auf die Menschen rede ich noch gar nicht.
Darüber hinaus werden für diese Lampen seltene Erden benötigt, bei deren Förderung in China, Thailand und Malaysia (mal ganz abgesehen von den ausbeuterischen Umständen, unter denen die Arbeiter dort schuften müssen) Uran-Verbindungen und Folgeprodukte des Uranzerfalls mit gefördert und - da nicht weiter nutzbar - auf Halde gekippt werden, von wo sie dann mit dem Regen ins Grund- und Trinkwasser gelangen. Die Belastung durch Radioaktivität ist dort horrend, besonders die Krankheitsraten in der unmittelbaren Umgebung der Minen und Aufbereitungsanlagen ist seit Beginn der Förderung sprunghaft gestiegen.
Das Referat "Frankfurt spart Strom" ist so sinnvoll wie ein Referat "Frankfurt liest im Kaffeesatz".
Anders ausgedrückt: hätten Sie es nicht ein bißchen kleiner ? Statt dieses Amtes einfach einen städtischen Vertrag mit Energieberatungsfirmen - in denen Leute arbeiten, die tatsächlich wissen, wie der einzelne Bürger seinen persönlichen Energiebedarf optimieren kann - und die städtische Übernahme von deren Kosten für eine Beratungskampagne (wobei viele vermutlich für eine einmalige Aktion ohnehin pro bono antreten würden). Und natürlich mit dem Ziel, Energie zu sparen - nicht Strom. Wenn dabei sicher gelegentlich auch etwas an Stromspareffekten abfällt.