Wie krank ist der Frankfurter Wohnungsmarkt?

FAZ-Forum zu Wohnungsmangel und Mietsteigerung

Wie krank ist der Frankfurter Wohnungsmarkt?
© Rahel Szielis - pixelio.de


Dass der Frankfurter Wohnungsmarkt krankt, symbolisierte der Moderator des Abends, FAZ-Redakteur Rainer Schulze dadurch, wie er den Ablauf des Abends gliederte: Erst eine Anamnese, also die Bestandsaufnahme, dann die Diagnose, der sich dann die Therapie, also Lösungsvorschläge anschließt. Im Holzfoyer der Oper Frankfurt waren letzte Woche 270 Stühle gestellt, wovon allerdings höchstens ein Drittel besetzt war. „Ich hatte mit größerem Zulauf gerechnet“, dazu die erste Anamnese von Schulze. Die Einwohnerzahl Frankfurts wachse seit Jahren um ein Prozent jährlich. Mit 250 Quadratkilometern sei Frankfurt unter den Großstätten ein „Winzling“: Bremen, Münster und Erfurt hätten eine größere Stadtfläche. Die Nebenwirkung sei ein hoher Mietpreis, der in Deutschland nur noch von München übertroffen werde.

Schulze stellte als erstem der vier Podiumsmitglieder, nämlich dem Frankfurter Stadtplanungsamtsleiter Dieter von Lüpke, die Frage: „Haben Sie das Wachstum Frankfurts in der Vergangenheit unterschätzt?“ Lüpke zeigte sich vom unverhofften Einwohnerzuwachs in der Metropolregion überrascht. Man könne aber profitieren von der Erschließung des Riedberges sowie Konversionsflächen wie das Europaviertel. Allerdings sei Neubau innerhalb des Alleenringes fast unmöglich. Wohnungssuchende träfen deshalb in innenstadtnahen Lagen auf ein immer engeres Angebot.

Diese Erkenntnis spitzte Schulze zu mit der Erwähnung des „Sylt-Effektes“: Insulaner müssten aufs Festland ziehen, weil sie sich die Mietpreise auf ihrer Heimatinsel nicht mehr leisten können. Nur noch die Reichen aus ganz Deutschland könnten dies. So könnten sich auch Frankfurter Durchschnittsverdiener nur noch eine Wohnung im Umland leisten. Lüpke meinte, Studenten könnten Wohngemeinschaften gründen und bis mehr preiswerter Wohnraum geschaffen sei, müsse man sich mit weniger Wohnfläche zufrieden geben.

Als „Anwältin der kleinen Leute“ gab sich Anette Mönich von der Bürgerinitiative Zukunft Bockenheim. Die hohen Mieten belasteten vor allem Geringverdiener: Im Gegensatz zum Durchschnitt der Bevölkerung, der 20 bis 25 Prozent seines Einkommens für Miete ausgebe, bis zu 40 Prozent zahlen. Mit der Folge, dass in den ehemaligen Sozialwohnungen „der Druck enorm gestiegen“ sei. Frau Mönich stellte die Frage: „Wie schaffen wir es, Ausgrenzungen von alten Leuten und Familien mit Kindern zu verhindern?“

Frank Junker, als Geschäftsführer der stadtnahen Wohnungsgesellschaft ABG Holding Herr über 50.000 Wohnungen in Frankfurt, darunter 20.000 Sozialwohnungen, deren Zahl allerdings seit vielen Jahren stetig rückläufig ist, stellte eine „riesige Nachfrage“ in den „beliebten Stadtteilen Westend, Nordend, Bornheim und Sachsenhausen“ fest. Hier sei aber „kaum neuer Wohnraum möglich“. Doch habe die ABG in den letzten zehn Jahren fast 10.000 Wohnungen neu gebaut, mit einer Durchschnittskaltmiete von 710 Euro: „Das macht hier außer uns keiner in Frankfurt!“ Junker weiter: Zudem vergebe man Belegungsrechte zum Sozialwohnungspreis von 5 bis 5,50 Euro pro Quadratmeter auf dem freien Wohnungsmarkt: „Wir sind eine Marktmacht!“ Allerdings müsse die ABG ihre Mietpreise an den Mietpreisspiegel anpassen, „an die bei uns ortsübliche Vergleichsmiete, denn unser Wohnungsbauprogramm muss irgendwie finanziert werden. Und im Altbestand stehen immer wieder Sanierungen an.“

Dazu wieder kritische Töne von Frau Mönich. Laut Mietspiegel können Mieten in zwei Jahren um 15 Prozent erhöht werden und innerhalb drei Jahren um 20 Prozent. Dazu komme noch der Lagenzuschlag für Bockenheim, wo er für die schlichten 50er-Jahre-Bauten unnötig sei: „Wer hat denn einen solchen Einkommenszuwachs in den letzten Jahren gehabt?“ Und zu Junker gewandt: „Sie haben im Markt eine Vorbildfunktion!“ Die Gentrifizierung, also die Vertreibung der einfachen Bevölkerung mit hohen Mietpreissteigerungen aus den innenstadtnahen Lagen in Randlagen, dürfe „nicht so stark durchschlagen.“

Als letzter der vier auf dem Podium gibt Jürgen Conzelmann seinen Kommentar zur Anamnese ab. Als Vorstandsvorsitzender Haus & Grund Frankfurt vertritt er 9.000 Immobilien- und Hausbesitzer, die zumeist eines oder wenige Objekte besitzen. Eine günstige Wohnung sei in Frankfurt durch die hohen Quadratmeterpreise und die hohen Baukosten „kaum noch zu finanzieren“. Bei einem Baupreis von 18.000 Euro pro Quadratmeter (€/qm) müsse man Mietpreise von zwölf bis 13 €/qm nehmen. Und dies gelte für alle Stadtteile Frankfurts vom Westend bis Bergen-Enkheim. Noch bis vor fünf Jahren hätten Institute einen Einwohnerrückgang für Frankfurt prognostiziert. Nun habe man „eine dramatische Nachfrage“ durch Behörden wie die EZB und Firmen, die in die Stadt kommen. Einerseits Nachfragedruck auf die innenstadtnahen Lagen. Andererseits habe Frankfurt 48 Stadtteile. Deshalb „unser Petitum: Wir brauchen bessere verkehrliche Anbindungen.“ Mit dem Begriff „Wohnungsnot“ will Moderator Schulze Conzelmann provozieren. Dieser kontert, dieser Begriff stamme aus der Nachkriegszeit, wo einerseits Millionen Wohnungen zerbombt waren und andererseits Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen aus den Ostgebieten dazukamen: „Dieser Begriff ist den Meisten nicht mehr bekannt.“ Und es gab und gebe doch staatliche Förderungen.

Nach einer Stunde die Therapie: Was tun?

Moderator Schulze provoziert Frau Mönich: Im Lagenzuschlag bei Mitspiegel würden ja „disparate Wohnlagen in einen Topf geworfen“, ebenso Bestands- und Neumieten. Diese kontert sofort: „Es entzieht sich meinem Verständnis“, wenn nur Erhöhungen aus Neuvermietungen in den Mietspiegel einfließen: „20 Prozent in drei Jahren!“ Mieterhöhungen solle man als Mieter deshalb nicht zustimmen. Fragte spontan Junker, die Marktrealität im Blick: „Wer soll denn da noch investieren?“ Da klinkte sich Planungsamtsleiter Lüpke aus: „Bestandsmieten in den Mietspiegel aufnehmen? Das ist nicht mein Fachgebiet.“

Conzelmann für die Haus- und Grundbesitzer meinte dazu: „Die SPD hat im Wahlkampf das Thema für sich entdeckt. Wenn Sie die Mieten auf Dauer deckeln, können Sie Investitionen in den Neubau vergessen! Besitzern von Altbeständen werde bei der energetischen Sanierung „vorgeschrieben, was sie alles machen müssen. Das ist so degoutant, dass viele Erben verkaufen. Die SPD-Forderungen gehen völlig am Markt vorbei!“ Nicht mehr rentable Wohnungen führten dann zur Gentrifizierung. Da hat der diesen Bericht verfassende Nordendbewohner die wunderschönen Gründerzeitbauten vor Augen, die von neuen Investoren entmietet, grundsaniert und etagenweise an gut Betuchte verkauft werden. Conzelmann: „Wir halten unsere Mitglieder zum Maßhalten bei Mieterhöhungen an.“

Anette Mönich vertritt da wieder die Wenigverdiener: „Die Mietspiegel-Geschädigten sind die Ärmsten! Der Wohnungsmarkt ist so kaputt, auch durch die Wirtschaftskrise und unsere Gesetze, dass nur noch zehn Prozent öffentlich geförderter Wohnungsbau sind.“ Conzelmann fragt: „Unsere Mitglieder besitzen ein oder zwei Häuser und müssen eine auskömmliche Rendite haben. Welche Konzepte gibt es, Wohnraum für finanziell Schwache zu schaffen?“ Auch einem überzeugten Marktwirtschaftsbefürworter stellen sich da Fragen: Ist das nicht Aufgabe der Politik? Wo sind hier Ideen, Konzepte und Lösungen für die Zukunft? Ja, kann es denn sein, dass der ehrliche Steuerbürger via Wohngeld die Mieten der Immobilienbesitzer subventioniert?

Moderator Schulze fragte dann Verwaltungsfachmann Lüpke, welche Einwirkungen es durch Satzungen gebe, der Gentrifizierung entgegen zu treten. Wohnraumneubau in Gründerzeitvierteln wie West- und Nordend zu fördern, gehe nicht, nur in der Peripherie. In innenstadtnahen Lagen grüne Hinterhöfe zuzubauen, sei der Wohnqualität nicht förderlich. An Steuerungsmitteln stehen Milieusatzungen und Wohngeld zur Verfügung. Die Milieusatzung gebe vor, eben das Milieu erhalten zu wollen. In den Stadtteilen werde aber auch die ökologische Erneuerung bis zum Passivhausstandard gefordert. Und die älter werdende Bevölkerung fordere zur Erhaltung deren Mobilität den nachträglichen Einbau von Fahrstühlen. All dies koste viel Geld.

Nachverdichtung oder Neubaugebiet auf dem Acker?

Moderator Schulze fragt Junker, der mit der ABG mindestens jedem 7. Frankfurter eine Wohnung vorhält: Wie sieht es aus mit der Nachverdichtung in den 50er-Jahre-Siedlungen, die doch damals relativ locker bebaut wurden? Junker weicht mit diesen Zahlen aus: Man halte Sozialwohnungen zum Quadratmeterpreis von € 5 bis 5,50 z. B. für Polizeibeamte, Krankenschwester und den Frachtabfertiger bei Fraport vor. Für den Mittelstand betragen die Quadratmeterpreise 6,70 bis 9,40 €/qm. Und dann doch zur Frage: Er sei nicht dafür, dass man „statt auf die Wiese auf den Balkon des Nachbarn gucke“. Und auch Conzelmann ist gegen eine „undifferenzierte Nachverdichtung“: „Durch neue Riegel wird die Durchlüftung gestört!“ In der Keplerstraße im Nordend sollen die Innenhöfe „zugeknallt“ werden: „Da muss nachjustiert werden.“

Moderator Schulze macht Dampf mit einem neuem Thema: Soll man die Äcker im Norden Frankfurts bebauen? Oberbürgermeister Feldmann (SPD) sage: „Bauen, bauen, bauen“, dagegen Kämmerer Becker (CDU): „Denken, denken, denken: Was gefällt Ihnen besser?“ Junker als erster: „Beides! Wir müssen uns fragen: Welche Gebiete haben wir? Muss der Schlachthof mitten in der Stadt sein? Heute haben wir hier das Deutschherrenviertel.“ Junker fragt sich: Soll man große Flächen neu bebauen oder bestehende Siedlungsflächen an den Rändern arrondieren? Die Planungen für den Riedberg begannen 1992 und heute, nach über 20 Jahren, stehe noch ein Viertel zur Bebauung aus. Man könne alternativ heutige „Unorte“ zu „Orten machen, die gerne aufgesucht werden“. Beispiele für „Unorte“ lieferte Junker allerdings nicht.

Schulze fragt nach der Konversion von Brachflächen: Planungsamtschef Lüpke dazu: Von der Planung bis zur Fertigstellung vergingen 15 Jahre: So viel Zeit haben wir nicht!“ Und wegen der hohen Erschließungskosten: „In der Kleyerstraße im Gallus bauen wir wesentlich günstiger als auf dem weiten Acker.“

Wieder provoziert Schulze: Nun seien ja 19.000 Wohnungen geplant. Das sei doch mehr als ausreichend. Drohe da nicht ein Überangebot? Dieter v. Lüpke klärt auf: „Wir haben viele Einpendler, die hier wohnen wollen. Und um 50.000 Einwohner hat Frankfurt in den letzten Jahren zugewonnen. 25.000 wollen noch hier herziehen.“ Conzelmann zur Brachfläche Borsigallee: „Erst denken, dann bauen.“ Das Gallus-Viertel und Niederrad seien zwar gute Beispiele für die Konversion, doch müsse Frankfurt mehr mit den Umlandgemeinden verhandeln.

Abschließend Schulze zu Bürgerinitiativlerin Mönich zur Nachverdichtung, ob denn hier nicht Ghettos entstehen? Mönich antwortet, man habe 2 Mio. Quadratmeter leerstehenden Büroraum. Dies sei versiegelte Fläche. Hier müsse man Wohnraum schaffen, „statt auf Wiesen und Äcker zu gehen“. Mit Genossenschaften und selbstverwalteten Projekten solle man bauen und vermieten. Dies sei günstiger.


D. Schreiber

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