Cohn-Bendit demontiert sich selbst
Aufschlussreiches „Spiegel“-Gespräch mit dem Politiker

Der Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit (Grüne) ist gerade in Frankfurt, wo er schon viele Jahre wohnt und Stadtrat für multikulturelle Angelegenheiten war, eine vielbeachtete und vielgefragte Persönlichkeit. Mit einem spektakulären Auftritt 1969 vor der Paulskirche bei der damaligen Verleihung des Friedenspreises hat der vormalige Anführer der Pariser Studentenrebellion seine politische Karriere in Deutschland gestartet, die ihn zu vielen Ämtern und Ehren geführt hat. Nun aber ist der inzwischen 68-jährige in schwerer Bedrängnis wegen zurückliegender skandalöser Äußerungen zu sexuellen Beziehungen Erwachsener mit Kindern. In einem „Spiegel“-Gespräch in der aktuellen Ausgabe 20/2013 des Magazins wurde Cohn-Bendit zu diesem Thema eingehend befragt.
Wie ehrlich seine Antworten zu dem brisanten Thema sind, soll hier nicht weiter interessieren, darüber mögen andere urteilen. Mindestens so aufschlussreich wie die heutige Darstellung seines damaligen Verhaltens ist die Art und Weise, wie sich Cohn-Bendit als Politiker und links-grüne Autorität selbst demontiert. Denn wir begegnen in dem „Spiegel“-Gespräch einem Mann, der unter dem massiven Druck der übrigens keineswegs neuen Anschuldigungen - sicher unabsichtlich - dafür plädiert, besser nicht ernst genommen zu werden. Für einen Politiker mit wichtigem Mandat, dem zumal viele Türen und Publikationsmöglichkeiten weit offen stehen, ist das geradezu selbstmörderisch.
Aber schauen wir uns das Gespräch näher an. Konfrontiert mit Passagen in seinem 1975 verfassten Buch „Der große Basar“, antwortet Cohn-Bendit: „Dann wissen Sie, dass „Der große Basar“ nicht nur furchtbar schlecht geschrieben, sondern auch eine merkwürdige Kolportage aus Fiktion und Erlebten ist. Das Buch ist aus einem Interview entstanden, als eine Art Manifest gegen die bürgerliche Gesellschaft. In einer Passage argumentiere ich gegen Zweierbeziehungen, obwohl mein Leben zu der Zeit ganz anders aussah... Es ist eine Provokation. Geschmacklos, dumm, aber eben eine Provokation.“
An anderer Stelle fragen die „Spiegel“-Interviewer: „Und warum haben Sie dann so etwas geschrieben?“ Cohn-Bendit antwortet: „Weil ich beweisen wollte, dass auch ich, Dany Cohn-Bendit, vom Radikalenerlass bedroht war. Ich wollte mich gefährlicher machen, als ich bin.“ Dann wird der Grünen-Politiker auf einen berüchtigten Talkshow-Auftritt im französischen Fernsehen Anfang der achtziger Jahre zum Thema Kindersex angesprochen: „Wie empfinden Sie sich selber, wenn Sie ihren Auftritt heute sehen?“ Auch diese Antwort Cohn-Bendits sei hier wiedergegeben: „Hässlich. Hässlich und wirr. Ich empfinde schon den „Großen Basar“ als unglaublich angeberisch. Es gibt darunter vereinzelt Reflexionen, die ich noch heute teilen würde. Aber alles ächzt unter diesem Bedürfnis, immer noch einen draufsetzen zu wollen. Genauso ist auch dieses Fernsehinterview. Ich bin Mitte dreißig und muss immer noch spätpubertär daherreden.“
Fassen wir zusammen: Cohn-Bendit bekennt sich dazu, ein „furchtbar schlechtes Buch“ in die Welt gesetzt und oft bewusst doppelzüngig argumentiert zu haben; er gibt sich als „Provokateur“, Aufschneider und Angeber zu erkennen; er hat nach eigenen Worten noch mit Mitte dreißig „spätpubertär“ dahin geredet. Das also ist der Mann, der noch in jeder Runde, jeder Versammlung stets der Lauteste war und im Laufe seines politischen Lebens ungezählte Nachdenklichere und Andersdenkende verbal niedergemacht hat. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an seine Auftritte im Europaparlament, die in der ARD-Tagesschau besonders gerne gezeigt werden, wenn Cohn-Bendit mal wieder gegen Konservative und „Rechte“ in altbekannter Pose eines Studentenführers loswettert.
Sind das alles nur Jugendsünden des persönlich keineswegs unsympathischen Rotschopfs? Diese Entschuldigung zieht jedoch gerade bei Cohn-Bendit nicht. Denn seine gesamte politische Karriere, die den Berufslosen zu einem wohlhabenden Mann gemacht hat, basiert allein auf seinen in jungen Jahren erworbenen Charisma und Ruhm als frecher, stets wortgewaltiger Revoluzzer, der sich demonstrativ wenig um bürgerliche Regeln scherte und gerade damit so manche Damen und Herren der besseren Gesellschaft faszinierte.
In seiner Not wegen der von den Massenmedien nun überraschend ans Licht gezogenen alten Kindersex-Affäre macht sich der Grünen-Politiker mit der militanten Vergangenheit im „Revolutionären Kampf“ nun kenntlich als ein sehr beschränkt zurechnungsfähiger Mann, der in einer fast beispiellosen Selbstdemontage alle Vorurteile bestätigt, die über dieses einstige Glückskind der 68er-Bewegung schon seit vielen Jahren im Umlauf sind.
Die Frage ist jetzt aber nicht, wer diesem Mann künftig noch vertrauen soll. Die Fragen sind vielmehr: Warum wurde diesem Daniel Cohn-Bendit je vertraut? Warum konnte ein solcher Politiker sowohl in Frankreich wie in Deutschland eine solch einträgliche Karriere machen? Wir konnte ein „Spätpubertierender“ zum Wegbereiter der verhängnisvollen Ideologie des „Multikulturalismus“ werden? Wer die Beantwortung dieser Fragen anstrebt, muss sich wohl oder übel mit der gesellschaftlichen Situation der letzten Jahrzehnte ebenso auseinandersetzen wie mit der geistigen Verfassung jener Kreise und Massenmedien, die einen wie Cohn-Bendit erst groß und bedeutend gemacht haben.
Der altgediente Europaparlamentarier ist immerhin Realist genug zu wissen, dass er nicht mehr viele Lorbeeren bei halbwegs kritischen Menschen ernten wird. Auf die Feststellung im „Spiegel“-Gespräch: „Sie waren in ihrer großen Zeit auch nicht gerade zimperlich“, reagiert er mit der Erkenntnis: „Das stimmt. Die Härte, die wir an den Tag gelegt haben, kommt jetzt spiegelbildlich zurück.“ Man möchte sagen: Spät, aber endlich!
Wolfgang Hübner, 14. Mai 2013