Phrasendrescherei bei Schonung von SPD und Grünen
Bericht von der Bundesmitgliederversammlung der FREIEN WÄHLER in Berlin
Der folgende Bericht von der Mitgliederversammlung der FREIE WÄHLER-Partei in Berlin ist von Rainer Högner, aktiver Freier Wähler in Rheinland-Pfalz sowie Initiator und Mitbegründer des „Weimarer Kreis“ demokratischer Freier Wähler, verfasst. Högner ist der wohl profilierteste Kritiker des derzeitigen Bundesvorstands und insbesondere des Multi-Vorsitzenden Hubert Aiwanger. Doch Högners Beiträge und Berichte sind bekannt für hohe Glaubwürdigkeit und Qualität. Sollte es anders lautende Berichte zu der Veranstaltung in Berlin geben, werden diese hier gerne ebenfalls veröffentlicht.
_________________________________________________________________________
Demokratie ist, wenn …
… beim Bundesparteitag der FREIEN WÄHLER am 11. Mai 2013 in Berlin eine Mehrheit von 2,6 % der Parteimitglieder Aiwanger zustimmt – wobei wir der Einfachheit halber mal davon ausgehen, dass die Partei FREIE WÄHLER tatsächlich auf einmal die von Aiwanger behaupteten 6.000 Mitglieder aufweist.
Zeitgleich bot eine andere Kleinpartei, die mit dem Namen einer kriminellen Vereinigung, in der oberpfälzischen Provinz locker 1.200 Teilnehmer auf. Nun ja, so ganz zeitgleich war die Veranstaltung dann doch nicht: Immerhin gönnten die Seeräuber sich einen dreitägigen Programmparteitag mit kontroversen Diskussionen, divergierenden Meinungsäußerungen und sogar Redebeiträgen von Personen, die nicht Bundesvorsitzende sind, während die in der Bundeshauptstadt tagenden 158 FREIEN WÄHLER den Programmpunkt „Bundeswahlprogramm – Diskussion, Abstimmung“ unter TOP 13 der 15 Punkte umfassenden Agenda für die eintägige „Bundesmitgliederversammlung“ vorfanden.
Um sicherzugehen, dass unter dem noch fernen Beschluss zum Wahlprogramm auch wirklich keine für ihn unzumutbaren Diskussionen stattfinden würden, redete sich Aiwanger zunächst in einer – für seine Verhältnisse bescheidenen – 50 Minuten langen „Begrüßung“ um Kopf und Kragen, was seine Anhänger jedoch nicht an stehenden Ovationen hinderte. Weder die niveaulose Bezeichnung der Bundeskanzlerin als „blinde Kuh“ noch die völlig realitätsferne Behauptung „Von Nord nach Süd, von Ost nach West denkt der Freie Wähler gleich“ waren geeignet, die ca. 90-%-Mehrheit der Aiwanger-Claqueure unter den Anwesenden zur Benutzung eigener Hirnmasse zu bewegen. Der größte Teil der Rede allerdings war, wie von Aiwangers Anhängern geliebt, reine Phrasendrescherei, übrigens unter Schonung von SPD und Grünen ausschließlich in Richtung des „bürgerlichen Lagers“ dreschend.
Was inmitten des westlichen Subkontinents Eurasiens der Satz, die FREIEN WÄHLER seien „in tiefstem Herzen Europäer“ aussagen soll, wissen wohl nur die Beifallspender, und die Behauptung, die FREIEN WÄHLER seien die „demokratischste Partei überhaupt“, mag der Leser am Ende dieses Artikels selbst beurteilen. Eher hatte es den Anschein, als habe der Tagungsort, das Langenbeck-Virchow-Haus, in dem sich einst die damalige „Volkskammer“ der DDR konstituierte, einen sehr unheilvollen, undemokratischen Einfluss auf den Parteitag gehabt.
Dass außer Aiwanger weitere Redner nicht vorgesehen waren und es wie immer auch keine Rednerliste gab, in die man sich hätte eintragen können, sollte für „echte Freie Wähler“ im Sinne des Caudillo selbstverständlich sein.
Das erste richtige „Aha-Erlebnis“ des Tages folgte bei der Genehmigung des Protokolls zum vorangegangenen Parteitag in Lemgo. Wahlkreiskandidat Oliver Weihrauch aus der Bezirksvereinigung Rheinland-Pfalz Nord stellte hierzu einen Antrag auf Ergänzung, was vom bereits zu diesem Zeitpunkt völlig überforderten Versammlungsleiter, dem Pressesprecher Steffen Große, mit der Erklärung zurückgewiesen wurde, es gebe keine Änderung des vorliegenden Protokolls. Erst die klare Ansage Weihrauchs, wenn man seinen Antrag nicht behandle, habe man „direkt das nächste Schiedsgerichtsverfahren am Hals“, bewegte den Vorstand, dann doch im Sinne des Antragstellers über die Ergänzung des Protokolls abstimmen zu lassen.
Mit der Mittagspause folgte dann der zweite Teil der sicher nicht versehentlichen Vernichtung der Zeit, die dann später nicht mehr für die Programmdiskussion zur Verfügung stehen sollte. Selbstverständlich hätten auch 45 Minuten ausgereicht, um die mit 15,00 € berechneten Würstchen oder Frikadellen mit Kartoffelsalat und eine Tasse Kaffee zu sich zu nehmen, aber mit eineinhalb Stunden war doch eher sicherzustellen, dass die eine oder andere Frage zum Programm gar nicht mehr gestellt werden konnte.
Teil drei des Verzögerungskonzepts folgte nach der Pause: Obwohl in der Tagesordnung überhaupt nicht vorgesehen, durften oder sollten sich auf einmal die Spitzenkandidaten aus den Bundesländern vorstellen. Auf einem Bundesparteitag eine völlig sinnfreie Maßnahme, aber im Sinne der für später vorgesehenen Diskussionsverhinderung erfolgreich. Kandidaten, die nicht anwesend waren, wurden zu diesem Zweck sogar durch andere Personen ersetzt.
Laut wurde es, nachdem WEIMARER-KREIS-Mitbegründer Rainer Högner sich um die Mitarbeit in der neu einzurichtenden Satzungskommission bewarb. Zunächst stürmte Aiwangers hessischer Adlatus Walter Öhlenschläger mit wehendem Jackett ans Mikrofon, um an Högner die Frage zustellen, ob er noch Mitglied im WEIMARER KREIS sei. Nach dessen Bestätigung meinte Öhlenschläger behaupten zu müssen, dass der WEIMARER KREIS den Freien Wählern schaden wolle und er deshalb gegen diese Bewerbung sei, bevor er wieder auf seinen Platz brauste. Högner bestritt daraufhin diese Behauptung und forderte Öhlenschläger auf, er solle doch einfach mal nachlesen, was der WEIMARER KREIS tatsächlich wolle.
Das wiederum hielt den bekannten nordrhein-westfälischen Vorzeigedemokraten Hans-Dieter Schaffrath nicht ab, mit reichlich „Schaum vor dem Mund“ darzulegen, dass es ein Mitglied des WEIMARER KREISES „nicht verdient“, bei den FREIEN WÄHLERN mitzuarbeiten. Man darf sich bei den Herren Öhlenschläger und Schaffrath bedanken, dass sie den WEIMARER KREIS in der Partei ein wenig bekannter und/oder interessanter gemacht haben.
Da lediglich sechs Personen für die Kommission zu wählen waren, wurde noch schnell ein weiterer Bewerber vorgeschlagen, um den bösen „Weimarer“ aus Rheinland-Pfalz zu verhindern. Oliver Weihrauch allerdings, der sich ja bis dahin nur in Sachen Protokoll unbeliebt gemacht hatte, kam, wenn auch mit dem schlechtesten Ergebnis der sechs, in die Kommission.
Wichtiger als die Programmdiskussion, deshalb auch noch davor auf der Tagesordnung, war dann auch noch die Gründung der nach den „Jungen FREIEN WÄHLERN“ zweiten internen Splittergruppierung der Partei, der „Freien Frauen“, die sich zwischen Einladung und Gründung noch schnell in „FREIE WÄHLERinnen“ umbenannt hatten und, immerhin, schon eigens produzierte Prospekte verteilt hatten. Dort allerdings findet sich noch immer die Internetadresse freie-frauen.de, die jedoch nicht erreichbar ist: „Der Server konnte nicht gefunden werden.“ FREIE-WÄHLER-Professionalität eben. Und die nächste Gründung droht bereits: Die „Grauen Panther“ wollen sich den FREIEN WÄHLERN anschließen, und so wird es wohl bald auch noch „Freie Seniorinnen und Senioren“ geben, bis auch die sich dann in nach Geschlechtern getrennte Rollatorgruppierungen aufteilen. Warten wir mal ab, ob diese Grüppchen dann auch alle, wie die „Jungen FREIEN WÄHLER“, einen Vorstandsposten zugesagt bekommen.
Etwa eine Stunde vor dem für 17:00 Uhr vorgesehenen offiziellen Ende des Parteitags dann das Hauptthema des Tages: das Wahlprogramm. Dazu lag den Teilnehmern eine gegenüber dem bis dahin bekannten, auch erst vier Wochen vor dem Parteitag verfügbaren Entwurf überarbeitete Beschlussvorlage vor. „10 Punkte für Deutschland“ auf 65 Seiten – und als Fußnote auf jeder Seite: „Berücksichtigte Änderungswünsche der Mitglieder sind grau hinterlegt.“ Nicht etwa Anträge waren gestellt worden, nur „Wünsche“ geäußert!? Nun ja, für die Behandlung von Wünschen gibt es ja keine Regelung in der Satzung … Und welche „Wünsche“ waren hier von wem und wie berücksichtigt oder nicht berücksichtigt worden?
Högner – Sie erinnern sich: der Böse aus dem Weimarer Kreis – direkt zu Beginn dazu: „Wer hat darüber entschieden, was hier berücksichtigt wird? Der Vorstand? Oder die bis jetzt überhaupt nicht legitimierte Programmkommission? Wir, der Parteitag als oberstes Parteiorgan, haben darüber zu entscheiden und sonst niemand! Ich möchte wissen, welche Anträge hier nicht berücksichtigt wurden!“ Sicher nehmen Sie nicht an, dass es darauf eine brauchbare Antwort gab, ebenso wenig auf die Bedenken eines anderen Teilnehmers, dass eine Abstimmung über diese Beschlussvorlage nicht gültig sein könnte, da auch dieser geänderte Entwurf spätestens mit der Einladung zum Parteitag hätte vorliegen müssen.
Weder werden wir wohl je erfahren, nach welchen Kriterien seitenweise Anträge von Mitgliedern aussortiert worden sind, noch ist nachvollziehbar, aus welchem Grund sogar ein gemeinsamer Antrag der Kandidaten und des Landesvorstands (!) Rheinland-Pfalz nicht einmal den Weg in den Parteitag gefunden hat.
Nun folgte die Diskussion, und zwar erheblich mehr Diskussion, als man sich offenbar im Vorstand und bei der Mehrheit der Aiwangergetreuen vorgestellt hatte. Im Wesentlichen waren es immer dieselben und offensichtlich eher dem fachkundigen Lager zugehörigen etwa 10 % der Mitglieder, die die Diskussion bestimmten, was einige aus der die übrigen, 90 % umfassenden Abnick-Fraktion zu ständigen Zwischenrufen wie „Weiter!“, „Nächster Punkt!“ oder „Wir wollen fertig werden!“ veranlasste.
Interessant aber auch so manche Argumentation: Da ging es dann auch mal nicht darum, was richtig oder falsch ist oder ob man dem Anspruch, „Politik mit gesundem Menschenverstand“ zu machen gerecht wird, sondern darum, ob man mit einem Programmpunkt vielleicht Stimmen aus der Gastronomie oder der Beamtenschaft verlieren könnte. Wer fragt nach Charakter, wenn er noch den Traum vom Wahlsieg träumt …
Inzwischen verlor Große völlig den Überblick über das Geschehen. Die Reihenfolge von Wortmeldungen war nicht mehr nachvollziehbar, das Wort wurde erteilt, das Wort wurde entzogen, Anträge zur Geschäftsordnung angehört, aber nicht zur Abstimmung gestellt …
Gedreht wurde dann auch an der imaginären Stellschraube für die Zulässigkeit von Diskussionsbeiträgen. Keine freie Antragstellung mehr, nur noch unvorhersehbare „Geistesblitze“ sollten Eingang in den Diskussionsverlauf finden. Nicht dass es dafür eine Definition gäbe … In der nächsten Demokratieabbaustufe sollte es dann möglichst nur noch jeweils einen Redebeitrag und eine Gegenrede geben dürfen.
Trotzdem war es bereits kurz nach dem für 17:00 Uhr vorgesehenen Veranstaltungsende und die Reihen der Teilnehmer lichteten sich bereits deutlich, als erst der dritte der zehn Punkte abgehandelt war. Auf eine Frage zur Geschäftsordnung, für wann das Veranstaltungsende vorgesehen sei, gab es erst überhaupt keine Antwort. Motto: Unbequeme Fragen einfach ignorieren, der wird schon nicht nachhaken. Erst auf den ausdrücklichen und lauten Hinweis, dass man eine Antwort erwarte, gab es eine Reaktion: Zeremonienmeister Große ließ darüber abstimmen, ob man weitermachen wolle. Man wollte. Damit war zwar die Frage noch immer nicht beantwortet, aber es klang irgendwie nach einer Open-End-Party.
Der Haken dabei: Viele der Teilnehmer hatten entsprechend der in der Einladung angegebenen Zeit ihren Rückflug oder ICE-Sitzplatz gebucht und konnten deshalb nicht darauf warten, irgendwann einmal über die Annahme der Beschlussvorlage als endgültiges Wahlprogramm abstimmen zu dürfen. War die Versammlung deutlich nach dem auf „ca. 17:00 Uhr“ festgelegten Tagungsende überhaupt noch beschlussfähig? Wir dürfen gespannt sein, wie das Schiedsgerichtsverfahren über die Gültigkeit dieses Beschlusses, an dem diejenigen, die auf diese Weise an der Abstimmung gehindert wurden, nun einmal nicht teilnehmen konnten, ausgeht.
Fassen wir das Thema „Beschluss des Bundestagswahlprogramms“ zusammen:
- Der Entwurf für das Wahlprogramm wurde nicht mit der Einladung versandt.
- Der Entwurf konnte erst Tage nach der Einladung von der Internetseite der FREIEN WÄHLER heruntergeladen werden.
- Es war unter Berücksichtigung der Einladungsfristen keine ausreichende Zeit für Diskussionen in den Gebietsverbänden.
- Anträge zum Programm wurden willkürlich berücksichtigt oder aussortiert.
- Anträge von Mitgliedern wurden eigenmächtig bearbeitet.
- Die Diskussion über das Programm konnte erst am späten Nachmittag eines eintägigen, auf 6 Stunden abzüglich 1,5 Stunden Pause, also auf 4,5 Stunden angelegten Parteitags beginnen.
- Die Diskussion konnte demzufolge nicht innerhalb der in der Einladung vorgegebenen Zeit abgeschlossen werden.
- Es war aufgrund vorgeplanter Rückreisezeiten vielen Teilnehmern nicht mehr möglich, an der Diskussion und Abstimmung zu den meisten Programmpunkten und der abschließenden Abstimmung über die Annahme oder Ablehnung des gesamten Wahlprogramms teilzunehmen.
- Es besteht ein hohes Risiko, dass der Beschluss des Wahlprogramms nicht gültig ist.
Die FREIEN WÄHLER, mit Aiwanger die „demokratischste Partei überhaupt“? „… in den nächsten Jahren mit Sicherheit in einer ganzen Reihe von Landtagen sitzend …“ (Zitat Aiwanger)? Immerhin hat Aiwangers Fraktionskollegin Eva Gottstein in Berlin schon mal von seiner 15-%-Prognose für die Bayern-Wahl Abschied genommen: Sie hofft noch auf „wenigstens 8 Prozent“.