Das bedrohliche Signal aus Offenbach
Der Angriff auf den jüdischen Rabbiner hat Ursachen

Frankfurts Nachbar Offenbach hat einen, wenn nicht den höchsten Ausländeranteil unter den deutschen Großstädten, mehr als die Hälfte der Einwohner weist einen Einwanderungshintergrund auf. Diese statistisch belegten Tatsachen könnten Offenbach zu einem besonders weltoffenen, lebendigen und vitalen Ort machen. Doch das hoffnungslos überschuldete Offenbach ist der Ort, wo sich als solche erkennbare Juden inzwischen nicht mehr bewegen können, ohne sich der Gefahr offener Anfeindungen und sogar tätlicher Angriffe ausgesetzt zu sehen. Das zeigt der Fall des Rabbiners Mendel Gurewitz, der am Sonntag von einer Gruppe „südländisch aussehender“ Jugendlicher judenfeindlich belästigt und bedrängt wurde.
Laut Gurewitz gehören solche Anfeindungen zu seinem Alltag in Offenbach. Das hat aber bislang niemanden außer ihm und seinen Glaubensgenossen der jüdisch-chassidischen Chabad-Gruppe sonderlich gestört, auch nicht diejenigen, die überall und bei jedem Anlass „rechte“ Umtrieb wittern und anprangern. Doch es sind ganz offensichtlich keine Glatzköpfe mit Springerstiefeln oder unverbesserliche kerndeutsche Antisemiten, die in Frankfurts Nachbarstadt die dort lebenden Juden in Angst und Schrecken versetzen. Sondern es sind „südlich aussehende“ Jugendliche, die Gurewitz diskriminiert und sogar gezwungen haben, seine Fotoaufnahmen von ihnen auf dem Mobiltelefon des Rabbiners zu löschen. Und die Herkunft des Sicherheitsmitarbeiters eines Einkaufszentrums, der Gurewitz nicht zur Hilfe kam, sondern zusätzlich unter Druck setzte, dürfte auch ähnlich „südländisch“ sein wie jene der Jugendlichen.
Nun ist „südländisch“ ein weiter Begriff und beginnt eigentlich schon kurz hinter dem Brenner. Aber man tut sicher gut daran, nicht Italiener, Spanier oder Griechen als Verursacher des Vorfalls zu verdächtigen. Denn der polizeiliche Hinweis auf „südländisch aussehend“ kann nach aller Erfahrung als Hinweis auf Täter mit einem orientalisch-islamischen Hintergrund betrachtet werden. Wenn dem aber so ist, ist die Bewertung der Aggression gegen den Rabbiner als „antisemitisch“ irreführend. Vielmehr muss dann von dem abermaligen Ausbruch einer neuen, nach Deutschland importierten islamischen Judenfeindlichkeit gesprochen werden. Solche Vorfälle gibt es nicht nur in Offenbach, auch das angebliche tolerante Frankfurt konnte in dieser Beziehung schon einiges vermelden. Doch in Frankfurt wie in Offenbach will am liebsten keiner darüber reden, weil es nämlich mit höchst unbequemen Fragen verbunden ist.
Zum Beispiel der Frage, welche Zukunft bekennende Juden in Zukunft in Städten haben werden, in denen ein immer größerer Anteil der Einwohner orientalischer Herkunft ist und weiter in der islamischen Kultur verwurzelt sein wird. Diese Frage müssen sich übrigens perspektivisch nicht nur bekennende Juden, sondern auch bekennende Christen in Städten wie Offenbach stellen. Dieser Frage muss sich ganz Deutschland mit seiner spezifischen Vergangenheit ohne Wenn und Aber stellen. Dabei darf nicht länger darauf Rücksicht genommen werden, dass die neue Judenfeindlichkeit von Menschen ausgeht, die selbst soziale, ethnische oder religiöse Diskriminierung zu reklamieren pflegen.
Wenn sich Deutschland eines nicht leisten will, kann und darf, dann ist es alter Antisemitismus und neue Judenfeindlichkeit. Wer nur ersteren skandalös und unerträglich findet, von letzterem aber lieber schweigen oder nur verdruckst sprechen will, der ist nicht nur ein Heuchler, sondern viel schlimmer: Er begünstigt die Verschmutzung einer Nation, die sich unter Schmerzen und begleitet von der respektvollen Anerkennung der ganzen Welt über Jahrzehnte gesäubert hat. Und wer die neue Judenfeindlichkeit unter dem Deckmantel der „Politischen Korrektheit“ verborgen halten will, der macht sich mitschuldig an den Übergriffen gegen den Rabbiner Gurewitz und anderen. Diese Übergriffe, die demnächst keineswegs „nur“ aus Belästigung und Bedrängung, sondern aus weit bedrohlicheren Taten bestehen können, müssen geächtet und bestraft werden – ohne jede Relativierung und komplexbeladene Schonung. „Wehret den Anfängen“ – das ist nicht nur eine wohlfeile Leerformel, sondern muss Verpflichtung auch dann sein, wenn es manchem sehr unbequem erscheint, solchen Anfängen zu wehren, die übrigens längst keine Anfänge mehr sind.
Wolfgang Hübner, 6. Juni 2013