Weder Sieg noch Niederlage: Weitermachen!
Erste Bemerkungen zum Wahlergebnis der „Alternative für Deutschland“

Kein einziges reales und perspektivisches Problem Deutschlands hat sich am Abend des 22. September 2013 in Merkel aufgelöst. Diese Feststellung mag manchen Zeitgenossen analytisch wenig brillant erscheinen, ist aber notwendig, um nicht zu einer enttäuschten oder gar resignierten Wertung des Wahlergebnisses der „Alternative für Deutschland“ (AfD) im Bund zu gelangen. Zwar ist es gewiss bitter, dass nach soviel Einsatz, Begeisterung und Hoffnung nur 0,3 fehlende Prozentpunkte den Einzug einer AfD-Fraktion in den Bundestag mit allen positiven Folgen verhindert haben. Und es darf durchaus in den nächsten Wochen darüber diskutiert werden, ob und inwieweit auch eigene Unzulänglichkeiten und Unklarheiten in der jungen Partei an dem kleinen Unterschied, der einen großen Unterschied bewirkt, Anteil beim knappen Scheitern hatten.
Es kann aber nicht der geringste Zweifel daran bestehen, dass die AfD im Hinblick auf das Gesamtergebnis der Bundestagswahlen notwendiger denn je ist und sich deshalb programmatisch und organisatorisch weiterentwickeln und stabilisieren muss. Nach dem verdienten tiefen Absturz der FDP, dem kläglichen Scheitern der kürzlich noch so hochgehandelten Piraten und dem erwartet marginalen Abschneiden jener Aiwanger-Partei, die sich großspurig „Freie Wähler“ nennt, ist die AfD diejenige politische Kraft, die bereit steht und bereit stehen muss, um bei eventuell vorgezogenen Neuwahlen im Bund, ohnehin aber bei der Europawahl 2014 und kommenden Landtagswahlen, eine klar profilierte freiheitlich-konservative Alternative „rechts“ vom eher weiter nach links gerückten Parteienblock anbieten zu können.
Die am Wahlabend so siegestrunkene Merkel-Union wird noch schnell genug realisieren, einen korrumpierten und bequemen Koalitionspartner entweder mit einer zutiefst unwilligen, dazu im Bundesrat dominierenden SPD oder gar mit den gedeckelten Trittin-Grünen samt solchen Lichtgestalten wie Claudia Roth eintauschen zu müssen. Beide Möglichkeiten einer neuen Koalition im Bund versprechen Labilitäten, die in Krisensituationen sehr schnell zum Bruch führen können. Die wahrscheinlichsten Krisensituationen werden die Entwicklungen in der Euro-Zone und in der EU heraufbeschwören. Auf keinem anderen Feld steht hier mit der AfD eine so kompetente politische Alternative bereit – daran haben die fehlenden 0,3 Prozent überhaupt nichts geändert.
Da aber auch die Problemkreise und Krisensituationen innenpolitischer Natur an Brisanz zunehmen werden, muss die AfD ab sofort alle Kraft in die Arbeit an einem umfassenden, jedoch nicht ausufernden Programm investieren. Hierbei ist es von größter Bedeutung für die weitere Entwicklung der jungen Partei, in den Themenfeldern Familie/Demographie, Bildung, Energie, Einwanderung und nicht zuletzt in der Sozialpolitik deutliche unterschiedliche, markant benennbare Positionen zu dem Parteienblock zu formulieren. Das kann und sollte trotz der unterschiedlichen politischen Strömungen, die in der AfD zusammenfließen, möglich sein. Allerdings muss jeglicher Versuchung widerstanden werden, die Partei zur Ersatz-FDP oder zur CDU ohne Euro zu machen. Die AfD wird entweder eine Volkspartei neuen Typs werden - oder sie wird scheitern.
Eine Volkspartei neuen Typs wird aber nur, wer sich auch mit vorerst 4,7 Prozent als politische Kraft versteht, die kein Mehrheitsbringer für die Union oder eine Organisation für die Entfaltung von Partei- und Parlamentskarrieren sein will. Vielmehr muss die Partei, die in Deutschland künftig wirklich gebraucht wird, neue und im besten Sinnen radikale Antworten auf die unweigerlich bevorstehenden Herausforderungen innen- und außenpolitischer Art geben. Noch einmal hat ein alterndes, um seinen Wohlstand besorgtes und vom linksgrünen Zeitgeist - wenngleich zunehmend widerwillig - dominiertes deutsches Volk sich mit großer Mehrheit für die vorgeblich „sichere“ politische Variante, die in Person von Angela Merkel perfekt verkörpert wird, entschieden. Darüber mag man klagen und räsonieren, man kann es aber auch als Flucht aus einer von vielen Menschen als immer unübersichtlicherer, bedrohlicher empfundenen Realität in die Fangarme einer Partei begreifen, die traditionell Sicherheiten verspricht, wo es solche tatsächlich immer weniger gibt.
Das vorläufige Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde bietet der erst sieben Monate alten Frühgeburt AfD die Möglichkeit, bislang aufgeschobene programmtische Klärungen und Präzisierungen nicht gleich auf offener politischer Bühne mit allen darin liegenden Risiken absolvieren zu müssen, sondern vornehmlich intern. Wird diese Chance konsequent genutzt statt verspielt oder vertändelt, wird der 22. September 2013 keine ernüchternde Kaltdusche für übergroße Hoffnungen auf die „Alternative für Deutschland“, sondern ein erster Paukenschlag für den notwendigen politischen und gesellschaftlichen Gezeitenwechsel in Deutschland sein.
Dass dieser Gezeitenwechsel nicht nur notwendig, sondern möglich ist, beweisen das im Vergleich zu den großen Ambitionen auffallend schlechte Abschneiden der Grünen, aber auch die Stimmverluste der Linkspartei. Es ist zu beachten und zu verarbeiten, dass eine nicht geringe Zahl von Wählern dieser Linkspartei am 22. September zur AfD gewechselt ist. Darunter sind gewiss nicht wenige Protestwähler, aber auch viele Menschen, die nicht einverstanden sind mit als ungerecht empfundenen sozialen Entwicklungen, einer Euro-Rettung auf Kosten der sogenannten „kleinen Leute“ und jener ungesteuerten Einwanderungspolitik, die demographische Defizite nicht löst, sondern kulturellen Sprengstoff anhäuft. Diese übergewechselten Linkswähler waren tatsächlich so wenig „links“ wie viele Republikaner- und NPD-Wähler jemals unverbesserlich „rechts“ waren.
Die AfD hat die historische Aufgabe, Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten, verschiedenen Bildungsniveaus und verschiedener Prägung eine neue politische Perspektive zu geben. Das kann sie nur, wenn sie sich weiterhin als organisatorischer Ausdruck einer Volksbewegung versteht, die in den 4,7 Prozent erstmals auch in Zahlen erkennbar geworden ist. Scheitert die Partei kleinmütig oder kleingeistig an dieser Aufgabe, wird diese Aufgabe ein neuer Versuch mit anderem Namen und anderem Personal zu schultern haben. Doch gibt es nach dem Wahlergebnis des 22. September 2013 für die AfD keinerlei Grund, sich die positive Bewältigung dieser Aufgabe nicht zuzutrauen. Es sind die Probleme Deutschlands, die das sogar verlangen - Merkel hin oder her.
Wolfgang Hübner