Die Krim-Krise und das deutsche Interesse
Anmerkungen zur aktuellen Debatte

Die Diskussion um die Vorgänge in der Ukraine und die Krim-Krise samt dem Vorgehen Russlands haben auch in konservativ-freiheitlichen Kreise und Foren ein sehr unterschiedliches, zum Teil sogar konfrontatives Echo hervorgerufen. Für die einen ist der russische Präsident Putin der neue (oder alte) Bösewicht, für nicht wenige andere aber ein beeindruckend tatkräftiger Politiker, ja fast sowas wie ein Held. Was ich aber an fast allen Diskussionsbeiträgen vermisse, ist die Formulierung der deutschen Interessenlage an der dramatischen Entwicklung im östlichen Europa.
Wenn ich von deutschem Interesse rede, meine ich allerdings nicht die Interesse bestimmter Gruppen, Machtzirkeln oder des Berliner Parteienblocks, sondern vielmehr das, was nach meiner Auffassung als Interesse des deutschen Volkes und des deutschen Staates verstanden werden sollte. Selbstverständlich vorrangig ist deshalb das Interesse an einer friedlichen Lösung des Konflikts. Ebenso vorrangig muss die strikte Nichteinmischung in diesen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sein. Deshalb muss allen verbalen Scharfmachern, Hetzern und Kriegstreibern, besonders in den Medien, kräftig auf die Finger und Mäuler gehauen werden – es besteht durchaus Anlass dazu. Und die deutsche Außenpolitik darf keinesfalls der verlängerte Arm von globalistischen Kräften sein, die den Spielball Ukraine dazu benutzen, um dem russischen Störenfried geopolitisch zu schaden.
Schon aus historischer Erfahrung, aber auch aus massivem wirtschaftlichem Interesse sowie kultureller Verbundenheit sind gute und enge Beziehungen zu Russland wichtig. Sie sind nach Lage der Dinge sehr viel wichtiger als die Beteiligung an dem gefährlichen Machtspiel in und um die Ukraine. Deshalb ist es im deutschen Interesse, die russischen Interessen an der Krim und in der Ukraine auch dann zu respektieren, wenn diese nicht so wahrgenommen werden, wie es im Sinne freundschaftlichen Umgangs in internationalen Beziehungen wünschenswert wäre. Und wer das robuste russische Vorgehen kritisiert, ist nur dann glaubwürdig, wenn nicht unterschlagen wird, auf welch dubiose Weise die jetzige Führung der Ukraine an die Macht gekommen ist.
Es kann auch nicht im deutschen Interesse sein, mit der ökonomisch ruinierten, politisch extrem instabilen Ukraine einen Staat in die EU oder gar in die NATO zu locken, der auf viele Jahre ein Kostgänger sein wird, aber jederzeit in kriegerische Verwicklungen führen kann. Die Ukraine kann nur genesen, wenn sie ein vernünftiges, freundschaftliches Verhältnis zu Russland bekommt, was eine bestimmte Distanz zum Westen einschließt. Nur unter dieser Voraussetzung können die Beziehungen Deutschlands zur Ukraine in jeder Weise zum beiderseitigen Vorteil entwickelt und ausgebaut werden.
Selbstverständlich ist die russische Behauptung, in der Ukraine seien nun „faschistische Kräfte“ am Werk, übertrieben und dienen der ideologischen Legitimation des eigenen Vorgehens. Doch dass in Kiew politische Gruppen kräftig mitmischen, die im Westen und besonders im politisch korrekten Deutschland als „Rechtspopulisten“, ja gar als „Rechtsextremisten“ verpönt wäre, ist auch eine nur schwer zu bestreitende Tatsache, die das westliche Lamento über den Gang der Ereignisse gewiss nicht ehrlicher macht.
Eine Tatsache ist es auch, dass Präsident Putin mit offenbar großer Zustimmung des russischen Volkes die eigenen nationalen Interessen wahrnimmt. In Deutschland dagegen gilt das als geradezu skandalös. Es gibt aber gute Argumente dafür, darin eher eine ernsthafte deutsche Krankheit als eine russische Hybris zu diagnostizieren.
Die aktuelle Debatte in Deutschland zu dem Themenkomplex Ukraine und Krim-Krise gibt durchaus beunruhigenden Aufschluss darüber, wie sehr es die Deutschen verlernt haben, ihre eigenen Interessen, nämlich diejenigen von Volk und Staat, zu bestimmen. Doch klar sollte auch sein: Wer diese Interessen nicht selbst bestimmen will oder kann, der wird nach den Gesetzen der Realpolitik von anderen Interessen bestimmt und dominiert werden.
Wolfgang Hübner