Lasst uns die Welt retten!

Der grüne Wahnsinn in einer ganz normalen Ortsbeiratssitzung


Dienstag, 6. Mai 2014, 17.00 Uhr. Die Sitzung des größten Ortsbeirats in Frankfurt, der Ortsbeirats 6 Westen der Stadt, beginnt. Auf der Tagesordnung steht zunächst der „Masterplan 100% Klimaschutz“. Eine Vertreterin des Energiereferates der Stadt Frankfurt am Main stellt das bundesweite Projekt „Masterplan 100% Klimaschutz“ vor, für das die Stadtteile Höchst und Unterliederbach ausgesucht wurden, um den Prozess zur vollständigen Energieversorgung aus erneuerbaren Energien zu analysieren, durchzuführen und sichtbar zu machen. Mir schwant nichts Gutes bei diesem Thema, aber ich bin verhältnismäßig entspannt und harre der Dinge die auf mich und die wenigen der Sitzung beiwohnenden Bürgerinnen und Bürger zukommen.

Ruhig und sachlich führt die Dame durch eine Powerpoint-Präsentation und erläutert die einzelnen Folien. Viele Ideen sind nicht neu, aber in der Dichte interessant. Grundlegender Passivhausstandard, ausschließliche Nutzung von Wind-, Solar-, Wasser und Blockheizwerkenergie, Verringerung des Kfz-Verkehrs mit dem Ziel nur noch Elektrokraftfahrzeuge insbesondere im ÖPNV zuzulassen, Erhöhung des Radverkehrs mit eigens angelegten überdimensionierten Radwegen, erhöhte Flächennutzung für Photovoltaik und Anbau von Rohstoffen als Biokraftstoffe etc. etc. etc. Als Umsetzungsplan gilt eine Zeit bis zum Jahr 2036.

Noch kommt wenig Unruhe unter den Zuhörern und den Mitgliedern des Ortsbeirates auf. Die erste Nachfrage stellt das langjährige Mitglied des Ortsbeirates Georg Diehl von der FDP, ein Landwirt. Ob denn die Flächennutzung für Photovoltaik so sinnvoll sei bei den immer weniger werdenden landwirtschaftlichen Anbauflächen in der Stadt und ob die Photovoltaik überhaupt noch richtig sei, nach der Änderung der Subventionspolitik durch die Regierungen der letzten Jahre. Ja, der Ausbau und die weitergehende Nutzung der Solarenergie seien richtig, sie habe im Laufe der Jahre stetig zugenommen und werde auch weiterhin steigen, so die Antwort.

Bei der zweiten Wortmeldung handelt es sich weniger um eine Frage als um ein Ko-Referat. Der Grünen-Vertreter im Ortsbeirat 6, Thomas Schlimme, referiert über eine viertel Stunde über den bevorstehenden Untergang der Welt durch das Ansteigen der Temperaturen, die Erhöhung der Meeresspiegel und die einzig schnelle Lösung, nämlich sofort die in der aufgezeigten Präsentation vorgeschlagenen Projekte umzusetzen. Nachfolgende Generationen, sofern es überhaupt noch welche geben sollte, würden uns fragen, warum wir nichts unternommen hätten, um die Welt zu retten. Alles, was diese verheerende Entwicklung stoppen könne, müsse sofort umgesetzt werden – und die Eindringlichkeit seines Apells lässt vermuten, dass dies mit aller Bestimmtheit, ohne Rücksicht auf Einzelinteressen und das Individuum zu erfolgen habe. Schließlich geht es um die Rettung der Welt und wer, wenn nicht wir im reichen Frankfurt, seien besser dazu bestimmt, diese Rettung herbeizuführen.

Die Unruhe nimmt zu. Schnell stellt sich heraus, dass es zwei Lager zu geben scheint. Diejenigen, die ein großes Interesse an der Rettung der Welt haben und den Ausführungen ruhig und andachtsvoll lauschen wollen und diejenigen, die die Freiheit des Individuums durch eine ökologisch-ideologische Revolution bedroht sehen. Die dritte Wortmeldung kommt vom Fraktionsvorsitzenden der CDU-Ortsbeiratsfraktion. Er wolle wissen, ob es denn mit der radikalen Umsetzung des seinerzeit in Frankfurt beschlossenen „Passivhausstandards“ so richtig sei. Schließlich gebe es ja auch Gründe nicht jedes Haus an jeder Stelle in Passivhausbauweise zu errichten.

Darüber sei nichts bekannt, kommt die sehr rasche Antwort. Passivhausbauweise sei super, und der Fraktionsvorsitzende sieht sich mit seinen Argumenten schnell in der Defensive, denn wenn die Passivhausbauweise die einzig richtige Bauweise im 21. Jahrhundert und ohne Makel ist, was will er da noch sagen... Eine kurze Nachfrage von Diehl, ob denn der Referentin bekannt sei, dass externe private Busunternehmen von der Stadt beauftragt wurden, die alle keine Elektrofahrzeuge nutzten, wird kurz und bündig beantwortet. Ja, aber dies sei kein Problem, denn die Stadt könne ja in Ausschreibungen und Verträgen die ausschließliche Nutzung von Elektrobussen diktieren. Diese seien zwar zwei bis dreimal so teuer in der Anschaffung, aber die Amortisationszeit betrage nur zwischen fünf bis sechs Jahre.

Spätestens jetzt ist mein Unwohlsein einem zunehmenden Brechreiz gewichen. Zunächst fühle ich mich an die Jugendzeit meines Vaters in der staatlichen Plankommission der DDR erinnert. Dort gab es wenigstens nur 5- bis 10-Jahrespläne zur Steigerung der Produktivität der Volkswirtschaft, die allesamt scheiterten. Im realexistierenden Ökosozialismus der Bundesrepublik Deutschland sind wir schon bei über 20-Jahresplänen zu Rettung der Welt angekommen. Okay, denke ich mir und versuche mich mit dem Scheitern des Sozialismus-Spuks zu trösten. Aber die unkritische Umgangsweise mit den Ausführungen der Referentin und den Redebeiträgen sowie das Blicken in einige tiefgläubige Gesichter gegenüber und neben mir, lässt das Übelkeitsgefühl nicht verschwinden. Im Gegenteil!

Die Liste der Wortmeldungen nimmt zu, aber bisher kommt keine deutlichere Frage nach den Kosten zu dieser Umsetzung. Wie teuer werden die Elektrobusse für den Einzelnen im Vergleich zu heute? Wer wird sich das bei immer knapper werdenden Löhnen noch leisten können? Wie sieht es mit der Einschränkung der Persönlichkeitsrechte aus? Darf ich mich zukünftig überhaupt noch individuell, also so, wie ich es möchte, fortbewegen? Und wenn ja, werde ich es mir noch leisten können? Wie viel Geld wird die hoch verschuldete Stadt Frankfurt diese Umsetzung insgesamt Kosten? Welche anderen Projekte müssen zur Umsetzung dieser Ziele eventuell zurückstecken? Fragen, die nicht gestellt werden. Spätestens jetzt ist mir klar, dass diese Fragen bei einem nicht unerheblichen Teil der Zuhörer an diesem Abend keine Rolle spielen. Denn, es gilt die Welt zu retten und dabei spielt nicht nur Geld, sondern auch das Individuum eine untergeordnete Rolle.

In diesem Moment fühle ich mich in eine ganz andere Zeit zurückversetzt – in das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte. In diese Zeit, in der nicht mehr reflektiert, hinterfragt und kritischer Widerstand geleistet wurde. Eine Dame vor mir hält ein kleines Redemanuskript in den Händen. Eigentlich wollte sie nur etwas in der Allgemeinen Bürgerfragestunde etwas sagen. Doch sie schüttelt nun nur noch bisweilen den Kopf. Ich merke, dass ich den Raum schleunigst verlassen muss, wenn ich nicht einen Eklat verursachen will.

Ich entschuldige mich bei meinen Nachbarn und ergreife die Flucht aus dem Kapellensaal des schönen Bolongaropalastes in Höchst. Blass verlasse ich nach nur etwas über einer Stunde diese Ortsbeiratssitzung und begebe mich auf den Heimweg. An der frischen Luft will es mir aber nicht wirklich besser gehen. Zu tief sitzen bei mir die Fragen nicht nur zur Zukunft der Stadt, sondern auch zu meiner ganz persönlichen Zukunft. Die Zigarette, die ich mir nach schlechter Gewohnheit anzünde, schmeckt nicht wirklich, und ich mache sie aus. Habe ich damit etwas Gutes getan, denn kein Rauch verpestet die Luft? Habe auch ich gerade einen kleinen Beitrag zur Rettung der Welt geleistet? Mir wird leicht schwindlig. Aber ganz sicher nicht von zwei Zügen an der Zigarette, sondern von dem gerade miterlebten ganz normalen grünen Wahnsinn.
 

Patrick Schenk

Stadtverordneter

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