Frankfurts Bevölkerungszuwachs: Wer kommt eigentlich?

Auch „Alteingesessene“ haben Interessen und Rechte

Frankfurts Bevölkerungszuwachs: Wer kommt eigentlich?
© Foto: R2D2


In der Ausgabe der FAZ vom 21. Juni 2014 verteilte der Leiter der Rhein-Main-Zeitung, Dr. Matthias Alexander, Lob und Tadel an die Adresse der Freien Wähler. Der Kritik sollte man sich stellen, wenn es sich um ein so wichtiges und auch brisantes Thema wie das Bevölkerungswachstum von Frankfurt handelt. Denn es geht eben nicht nur darum, wie viele Neubürger Frankfurt bekommt, sondern auch darum, wer diese sind, woher sie kommen und welche Chancen, aber auch Probleme damit verbunden sind.
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Lieber Herr Dr. Alexander,

Sie haben in der samstäglichen FAZ-Rubrik „Frankfurter Wochenmarkt“, die ich immer gerne lese, getadelt, dass die Antwort der Freien Wähler auf die Herausforderung durch das Bevölkerungswachstum „denkbar schlicht“ sei und schreiben: „Die Freien Wähler sind gegen alle Neubaugebiete. Anders gesagt: Sie sind die Besitzstandswahrungsgehilfen der Alteingesessenen.“ Da diese Kritik auch von den Fraktionen der CDU, Grünen und der SPD kommt, gestatten Sie mir einige Bemerkungen dazu. Ich halte diese für umso notwendiger, weil das Thema „Bevölkerungswachstum, Neubaugebiete und Mieten“ aller Wahrscheinlichkeit nach das zentrale Thema der Kommunalwahl 2016 werden dürfte. Da ich Vertreter unserer Fraktion im Ausschuss Planen und Bauen bin, fühle ich auch besondere Pflicht, mich der Kritik zu stellen.

In meiner Rede auf der letzten Stadtverordnetensitzung, die ja dokumentiert ist, habe ich unsere Position durchaus differenziert erläutert und klar gemacht, für welches Wachstum wir sind – und für welches Wachstum nicht. Ich betrachte diese Position nicht als „denkbar schlicht“. Aber dabei kommt es natürlich auf die Perspektive des Betrachters an. Nicht richtig ist aber, dass die Freien Wähler „gegen alle Neubaugebiete“ sind. Einigen haben wir sofort zugestimmt, die meisten allerdings ebenso abgelehnt wie die Magistratsvorlage M 9, die ja grundsätzlicheren Charakter hat. Das haben wir sowohl im Ausschuss wie in der Stadtverordnetensitzung begründet. Wir haben uns als einzige Fraktion dabei nicht hinter „Maßgaben“ oder hinter Anregungen der betroffenen Ortsbeiräte versteckt, sondern sind – wie fast immer – mit offenem Visier aufgetreten.

Würden wir das nur tun, um uns als „Besitzstandswahrungsgehilfen der Alteingesessenen“ zu profilieren, wäre das zwar auch in unseren Augen fragwürdig, aber keineswegs verwerflich: Auch die „Alteingesessenen“, von denen übrigens viele noch gar nicht lange in Frankfurt leben, haben legitime Interessen und Rechte. Ich könnte eine ellenlange Liste von Themen und Ereignissen präsentieren, wo die großen Fraktionen samt FDP Einzel- und Klientelinteressen von „Alteingesessenen“ ohne jeden Skrupel verteidigt haben, wenn das ihrem Werben um Wähler geboten erschien. Mit diesem ganz realen „Populismus“ konnten die angeblichen „Rechtspopulisten“ der Freien Wähler noch nie mithalten. Aber das nur nebenbei.

Ich will nämlich zum Kern des Problems kommen: In der FAZ erscheint in diesen Wochen die verdienstvolle Serie „Frankfurt wächst“. Doch wir alle wissen, dass nicht das Stadtgebiet wächst, sondern die Zahl der darin lebenden und wohnenden bzw. wohnungssuchenden Menschen. Es geht also, wie Sie völlig richtig schreiben, um Bevölkerungszuwachs. Die Antworten auf die entscheidenden Fragen in diesem Zusammenhang hat aber bislang weder der Magistrat gegeben, noch konnte ich diese Antworten den Berichten der Medien entnehmen: Wer strömt da eigentlich in so großer Zahl nach Frankfurt, was erwarten diese Menschen und was bringen sie mit an Potentialen und Qualifikationen, aber auch an Problemen?

Diese Fragen müssen umfassend beantwortet und dann auch offen diskutiert werden. Bislang aber wird der Zustrom neuer Einwohner von Politik wie Medien als eine Art Naturereignis betrachtet, mit dem man irgendwie und unter allen Umständen zurande kommen müsse. So wenig aber Deutschland alle Einwanderer und Flüchtlinge dieser konfliktreichen Welt aufnehmen kann, so wenig kann die Stadt Frankfurt, in der weite Teile wegen des Fluglärms nicht weiter bebaut werden können, in unbeschränkter Zahl neuen Menschen ausreichende Wohngebiete samt Infrastruktur anbieten. Und selbstverständlich wissen dabei die „Alteingesessenen“ sehr gut, dass die Gruppe der wohlhabenden und gutverdienenden Neubürger wenig bis gar keine Schwierigkeiten hat, auf dem Wohnungsmarkt erfolgreich zu sein, wenngleich nicht immer in dem bevorzugten Stadtteilen Nordend oder Sachsenhausen. Für diese Gruppe gibt es schon jetzt ausreichend Wohnungen und immer mehr kommen hinzu.

Sehr viel problematischer hingegen ist die Situation von vielen Menschen, die Durchschnitts- oder Geringverdiener sind – ob nun „Alteingesessene“ oder gar Neufrankfurter. Letztere haben es zweifellos besonders schwer, eine für ihre Verhältnisse bezahlbare Wohnung zu finden. Das wird auf längere Sicht leider so bleiben, daran werden auch die neuen Wohngebiete – so sie überhaupt in den kommenden Jahren realisiert werden – nicht viel ändern. Doch was die für das Leben in der Stadt so wichtigen Normalverdiener wie Krankenschwester, Polizist, Verkäuferin oder Müllwerker und ihre Wohnungsnöte betrifft: Hat nicht die ABG rund 50.000 Wohnungen, die gerade für diese Bevölkerungsgruppe bezahlbare Wohnungen bereithalten kann und muss? Und wenn das nicht ausreicht, dann sollte die Stadt Frankfurt sich dazu entschließen, weniger allerlei Minderheiten und Events aller Art zu subventionieren, sondern die Mieten von Menschen mit Familien, die unverzichtbar für die städtische Infrastruktur sind.

Ein Gutteil des Misstrauens der alteingesessenen Anwohner der geplanten neuen Baugebiete richtet sich gegen die Gefahr der Entstehung neuer sozialer Brennpunkte. Das wird im Zeitalter der „Politischen Korrektheit“ nicht offen ausgesprochen, ist aber gleichwohl Realität. Und es ist auch eine Realität, dass ein Großteil der Menschen in sozialen Brennpunkten ausländischer Herkunft – und zwar nicht aus Österreich oder Polen – ist.

Das schon existierende und weiter erwartete Bevölkerungswachstum: Stammt es wirklich nur von Senioren, die es (wieder) in die Stadt zieht, von jungen Menschen, die wegen der Jobs und der urbanen Attraktionen kommen, von Polizisten, die nicht mehr pendeln mögen – oder stammt es doch in nicht geringem Maße von der innereuropäischen und globalen Armutseinwanderung?

In den Formulierungen der M 9 gibt es Hinweise darauf, dass letzteres keine bösartige Vermutung oder Unterstellung ist, sondern eine Entwicklung, die als unvermeidbar angesehen wird. Wir Freien Wähler betrachten das anders. Und wir werden dieser Diskussion auch keineswegs ausweichen. Zuvor aber muss geklärt werden: Wer kommt eigentlich neu nach Frankfurt und was bedeutet das wohnungs- und sozialpolitisch sowie infrastrukturell? Erst wenn diese Fragen beantwortet werden, können auch die Freien Wähler sowie viele Bürgerinnen und Bürger vielleicht ein ganz anderes Verhältnis zu den Wohnbauplänen bekommen. Wachstum um jeden Preis, auch und gerade Bevölkerungswachstum um jeden Preis darf und kann es jedenfalls nicht geben. Über alles andere muss vernünftig und ohne Scheuklappen geredet werden. Wir Freien Wähler wollen keine Zugbrücke hochklappen, wir wollen aber auch nicht Tür und Tor mit unberechenbaren Folgen öffnen.

In der Hoffnung, Ihnen unseren Standpunkt besser verständlich gemacht zu haben, verbleibe ich mit besten Grüßen an Sie und alle Mitarbeiter der Serie „Frankfurt wächst“.

Ihr Wolfgang Hübner

Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Römer

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