“Schwarz-Grün hat in der Integration schwere Fehler gemacht”
Wolfgang Hübner im FAZ-Interview

In der Anlage und im Volltext hier der Wortlaut des FAZ-Interviews, das im Rahmen der Sommergespräche mit den Fraktionsvorsitzenden im Römer am 02.09.2014 erschienen ist. Ich hoffe, dass es Ihnen Einblick in meine Auffassungen, aber auch unsere Positionen der Freien Wähler-Fraktion gibt. Über Reaktionen würde ich mich selbstverständlich freuen. - Wolfgang Hübner
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1. Wofür braucht Frankfurt noch die Freien Wähler? Es gibt doch jetzt die AfD.
Die AfD ist auf kommunaler Ebene noch eine völlig unbekannte Größe. Wir wissen nicht, wofür sie kommunalpolitisch steht. Was wir vertreten, ist dagegen sehr viel bekannter. Insofern besteht überhaupt keine Notwendigkeit, die Freien Wähler durch die AfD zu ersetzen.
2. Aber Sie sind Mitglied der AfD, oder?
Ja. Ich bin Mitglied, weil ich der Überzeugung bin, dass eine neue Partei mit einer stärkeren konservativ-liberalen Prägung in Deutschland notwendig ist.
3. Welche inhaltlichen Gemeinsamkeiten sehen Sie zwischen Freien Wählern in Frankfurt und der hiesigen AfD?
Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Ich bin in der AfD weder kommunalpolitisch tätig, noch hat sich die Partei bisher auf bestimmte kommunalpolitische Inhalte festgelegt. Was ich bisher höre, lässt aber darauf schließen, dass die Gemeinsamkeiten sehr begrenzt sind.
4. Sie sind also in die AfD eingetreten wegen deren europa- und bundespolitischen Ansichten, zum Beispiel wegen der Kritik an der Euro-Rettung?
Genau. Und in der Hoffnung, dass auch in außenpolitischen Fragen neue Aspekte reinkommen.
5. Welche?
Mir wäre zum Beispiel wichtig, dass man auf gar keinen Fall mitmacht bei der Sanktionspolitik gegen Russland. Ich halte sie für sinnlos und wirtschaftlich schädlich. Es bringt uns zudem in einen unnötigen Gegensatz zu einer Nation, die uns eigentlich sehr freundlich gesinnt ist.
6. Für was wollen die Freien Wähler bis zur Kommunalwahl 2016 stehen?
Das sind vor allem drei Punkte. Erstens sind wir in der Stadt diejenigen, die die Integrations- und vor allen Dingen auch die Islamproblematik am klarsten formulieren. Eine große Rolle spielt zweitens das Thema Wohnungen. Da gehen wir mit zwei Ansätzen heran. Zum einen wollen wir die zweite Miete stärker thematisieren. Zweite Miete heißt: Was kostet die Straßenreinigung? Was kostet die Müllabfuhr? Zum anderen sehen wir die Frage der Verdichtung des Wohnraums sehr kritisch. Sie haben in Ihrer Zeitung ja gerade selbst eine Serie „Die wachsende Stadt“. Wir fragen: Was wächst? Wohin wächst das? Und wie wächst es?
7. Und der dritte Punkt?
Ich habe kürzlich mal spaßeshalber gesagt: Die Freien Wähler sind die neuen Grünen. Damit meine ich, dass die Grünen in Frankfurt immer mehr Schwierigkeiten haben, für das Grün in ihrem Namen einzustehen. Die Grünen in Frankfurt waren nie eine grüne Partei, sondern immer eine Großstadtpartei, was jetzt immer sichtbarer wird. Auf ökologischen Themen weisen mittlerweile vor allem wir hin: auf Sauberkeit, auf den Schutz von Grünflächen, auf den Schutz von Äckern. Da werden wir im Wahlkampf Akzente setzen. Vor allem in der Debatte um neue Wohngebiete.
8. Der anstehende Kommunalwahlkampf ist Ihr vierter. Wollen Sie nach der Wahl Fraktionsvorsitzender bleiben?
Das werden wir entscheiden, wenn die Zeit gekommen ist. Wir führen jetzt überhaupt noch keine Personaldebatten. Es geht uns vor allem darum, wie wir uns inhaltlich aufstellen. Die Freien Wähler sind mehr als andere dazu gezwungen zu begründen, warum sie überhaupt antreten. Die anderen sind einfach da. Eine CDU ist da, eine SPD ist da. Die stehen immer für ein bestimmtes Image. Die Freien Wähler müssen sich vor jeder Kommunalwahl neu erfinden. Das wird diesmal wieder so sein.
9. Aber Sie wollen weitermachen?
Ich werde helfen, dass wir ein gutes Wahlergebnis bekommen.
10. Die Freien Wähler warnen seit Jahren vor einer zu toleranten Integrationspolitik der schwarz-grünen Koalition. Sehen Sie sich durch die jüngsten antisemitischen Parolen während einer Demonstration gegen den Kampfeinsatz Israels im Gaza-Streifen bestätigt?
Das Wort „bestätigt“ hat immer etwas Selbstgerechtes. Ich fühle mich ungern bestätigt, aber wir sind bestätigt worden, ja. Jetzt hat es den Knall getan im Rat der Religionen mit dem Austritt der jüdischen Gemeinde. Das zeigt, dass das Bild der Harmonie, des friedlichen Zusammenlebens, des Wir-haben-uns-alle-lieb, das offiziell so gerne aufrecht erhalten wird, geplatzt ist. Unser zentrales Argument gegen das sogenannte Vielfalt-Konzept von Integrationsdezernentin Nargess Eskandari-Grünberg war immer, dass es das Islamproblem in völlig unzureichender Weise behandelt.
11. Aber es ist doch kein generelles Islam-Problem, sondern ein Problem mit extremistischen und radikalen Muslimen in der Stadt.
Der Islam als Religion ist kein Problem. Aber die Probleme, die jetzt auch in Frankfurt auftreten, haben natürlich mit dem Islam zu tun. Es gibt nicht den guten Islam und den bösen Islam. Es gibt den Islam, und der wird verschieden interpretiert. Die jüdische Gemeinde hat mit ihrem Austritt zum Ausdruck gebracht, dass sich ranghohe Vertreter der Muslime gar nicht so gerne distanzieren von den judenfeindlichen Äußerungen aus ihren eigenen Reihen.
12. Glauben Sie, dass die Gefahr in Frankfurt wächst, weil die Zahl derer, die den Islam – in Ihrer Diktion – böse lebt, größer wird?
Es kommt nicht auf meine persönliche Einschätzung an.
13. In diesem Interview schon.
Aber die Gefahr ist doch objektiv gewachsen. Es wird ja auch von offiziellen Stellen zugestanden, dass die salafistischen Kreise gerade in Frankfurt regen Zulauf haben. Das Erschreckende ist, dass bei den Demonstrationen nicht nur diejenigen sich antisemitisch äußern, die Verwandte in den Palästinensergebieten haben, sondern auch sehr viele in Deutschland geborene türkischstämmige Jugendliche. Die haben sich in einer Art und Weise judenfeindlich gezeigt, die sie in der Schule nicht gelernt haben können. Jemand mit einer solchen Herkunft tut sich offenbar sehr schwer damit zu sagen: „Ich bin jetzt Deutscher und trage deshalb auch die ganze Last der deutschen Vergangenheit mit.“
14. Was ist jetzt zu tun?
Man kann vor allem eines machen: sich der Realität stellen. Das ist ganz wichtig. Die letzte Stadtverordnetenversammlung hat gezeigt, dass die andere Seite, also Schwarz-Grün, bei diesem Thema hochnervös ist. CDU und Grüne wissen nach dem Auszug der jüdischen Gemeinde aus dem Rat der Religionen ganz genau, dass sie schwere Fehler gemacht haben. Schließlich war der Rat doch ein zentraler Baustein der schwarz-grünen Integrationspolitik. Wir müssen jetzt genau beobachten, ob und unter welchen Bedingungen die jüdische Gemeinde zurückkehrt. Eine der Bedingungen ist offenbar, dass Ünal Kaymakci, ein prominenter Vertreter der Muslime, aus dem Rat der Religionen ausscheidet. Da kann ich nur sagen: Genau das ist nötig. Herr Kaymakci ist uns bekannt als jemand, der intern weitaus radikalere Standpunkte vertritt, als er sie nach außen trägt.
15. Die logische Moderatorin dieses Konflikts wäre die Integrationsdezernentin. Haben Sie den Eindruck, Frau Eskandari-Grünberg hat die Lage im Griff?
Nein, hat sie nicht. Spannend wird sein, ob sie die Lage wieder in den Griff bekommt. Nach der Sommerpause wird sie viel Arbeit haben.
16. Was werfen Sie ihr konkret vor?
Ich werfe ihr nicht vor, dass sie die Probleme nicht sieht. Aber ich werfe ihr vor, dass sie viele Probleme weglächelt. Korandiebstahl aus einem Kunstwerk im Portikus – runtergespielt. Judenfeindliche Äußerungen an Schulen – runtergespielt. Junge Muslime beschimpfen Betreuerinnen in Jugendhäusern – runtergespielt. Aber jetzt lässt es sich nicht mehr runterspielen. Wenn die jüdische Gemeinde dem Rat der Religionen fern bleibt, ist dieser Rat im Grund genommen nichts mehr wert. Das kann die Koalition jetzt nicht mehr weglächeln. Sie ist ab jetzt gezwungen, sich den Problemen mit der Integration zu stellen. Wenn sie das nicht tut, werden die Entwicklungen nur noch sehr viel schlimmer werden.
17. Was außer Gesprächen sollte nun passieren?
Es gibt im Fall antisemitischer Äußerungen rechtliche Möglichkeiten, um einzuschreiten. Und es müssen klare Signale gesetzt werden, dass es auch einer sehr internationalen Gemeinschaft wie in Frankfurt leitkulturelle Vorstellungen gibt. Und zur deutschen Leitkultur gehört, dass Antisemitismus verfemt wird. Und zwar immer und von allen. Das wird ein harter Kampf mit den islamischen Verbänden. Aber er muss geführt werden.
18. Welchen hauptamtlichen Dezernenten sehen Sie positiv, wen negativ?
Da wir Opposition sind, sage ich Ihnen zuerst, wer besonders schlecht ist. Natürlich gibt es ein Problem mit Bildungsdezernentin Sarah Sorge. Sie hat sich viel zu spät um die maroden Schulen gekümmert. Kritik übe ich auch an Kämmerer Uwe Becker. Er ist zu nachgiebig, lässt alles durchgehen. Er ist allein davon abhängig, dass die Gewerbesteuer fließt. Solange sie einigermaßen fließt, steht er nach außen hin ganz passabel da. Aber er müsste viel mehr darauf dringen, dass der städtische Haushalt in Ordnung kommt. Sehr kritisch sehe ich auch die Rolle, die Gesundheitsdezernentin Rosemarie Heilig von den Grünen spielt. Der Neubau des Höchster Krankenhauses ist keineswegs in trockenen Tüchern. Auch in der Abwicklung des städtischen Krematoriums hat sie versagt, gemeinsam mit den früheren Grünen-Dezernentinnen Jutta Ebeling und Manuela Rottmann.
19. Wer macht seine Arbeit gut?
Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld macht ihre Arbeit solide. Unauffällig zwar, aber das ist durchaus angenehm. Sicherlich macht auch Planungsdezernent Olaf Cunitz keinen schlechten Job, wenngleich wir in vielen Fragen anderer Meinung sind. Ich halte ihn für einen der herausragenden Dezernenten.
20. Wie bewerten Sie die frühe Ankündigung des CDU-Vorsitzenden Uwe Becker, sich 2016 selbst als Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl 2018 vorzuschlagen?
Die CDU ist mittlerweile fast ein tragischer Fall. Da ist zum Beispiel der Fraktionsvorsitzende Michael zu Löwenstein, der sich mit einer völlig unberechtigten Arroganz gegenüber dem Oberbürgermeister äußert. Zu behaupten, Peter Feldmann spiele politisch keine Rolle, ist ein starkes Stück. Auf der anderen Seite hat er jüngst erklärt, es gebe im Prinzip keine Möglichkeit, irgendwo einzusparen, weil alle Ausgaben sinnvoll seien. Ihm wünsche ich, dass er bald zu Einsichten kommt, die ihn weiterführen als das. Und Becker? Seine Ankündigung ist eine Panikreaktion. Was soll das? Vier Jahre vor der Wahl zu sagen, dass er sich selbst in zwei Jahren vorschlagen möchte, ist lächerlich. Die CDU leidet immer noch unter der Tatsache, dass Feldmann Oberbürgermeister geworden ist. Sie glauben allen Ernstes, der Mann gehöre da nicht hin, der sei zu klein für dieses Amt.
21. Wie bewerten Sie Herrn Feldmann, der seit 2012 im Amt ist?
Für die Opposition ist Feldmann ein Gewinn. Wir profitieren davon, dass sich der hauptamtliche Magistrat nicht mehr ganz einig ist. Das gibt uns Möglichkeiten, die Widersprüche zu nutzen und zu schärfen. Feldmann hat bisher eine gute Vorstellung geliefert. Aber es wird zunehmend schwieriger für ihn. Wer Dinge verspricht, muss auch irgendwann liefern. Und wenn die Leute merken, dass ihre Miete nicht niedriger geworden ist, werden sie sich fragen, warum der Oberbürgermeister nichts erreicht.