Salafismus – die neue Jugendbewegung?

Bericht über eine Podiumsdiskussion in Frankfurt

Salafismus – die neue Jugendbewegung?

 

Was treibt Jugendliche dazu, sich zu radikalisieren, was treibt sie in die Hände von Salafisten? Mit diesen Fragen leitete leitet die Moderatorin, FAZ-Redakteurin Katharina Iskandar, eine Podiumsdiskussion ein, die am 24. September im Haus Gallus in Frankfurt stattfand.

Es bilden sich rechte und linke radikale Gruppen in der Gesellschaft, so der Islam- und Politikwissenschaftler der Berliner Humboldt Universität, Dr. Marwan Abou Taam. Er nennt muslimische Jugendliche als Hauptgruppe, Diese lebten im inneren Konflikt zwischen den Werten der hiesigen Gesellschaft und ihrer Identität als Muslime.

Rabia Bechari vom Deutsch-Islamischen Vereinsverband Rhein-Main e.V. (DIV), erklärt der gesellschaftliche Druck sei sehr groß für junge Muslime. Pierre Vogel verstehe die Sprache der Jugendlichen, er habe einfache schwarz-weiß Argumente, teile Menschen in Gute und Böse ein, locke mit einfachen Slogans und Erklärungen. Faule Menschen suchten einfache Lösungen, so die muslimische Seelsorgerin, die in wortwörtlicher Übereinstimmung mit der Koransure 24, Vers 31, den Kopf bedeckt. Denn gemäß der Satzung ihres Dachverbands, ein Netzwerk von 25 Moschee-Gemeinden marokkanischer Herkunft (DIV), entscheidet dessen Rat über religiöse Verhaltensrichtlinien im Alltag der Mitglieder.

Der Psychologe und Studienleiter des Instituts TNS Infratest Sozialforschung, Ingo Leven, erkennt in potentiellen „Islamischer Staat“ (IS)-Terroristen  „Enttäuschte, die sich verabschieden von der Gesellschaft“. Leven wurde bekannt als Co-Autor der Shell Jugendstudien 2002, 2006 und 2010.

Menal Mehmet erklärt, „Sie verzichten auf alles, ziehen in den Krieg. Wir versagen als Gesellschaft.“ Der Leiter des neuen Präventionsnetzwerks gegen Salafismus (VPN) erklärt, Jugendliche befänden sich in innerer Zerreißprobe: die Mehrheitsgesellschaft, die sie als „defizitär“ ablehne, andererseits ihre Identität aus der Herkunftskultur. Gemäß der jüngsten Befragung von 378 Ausreisenden habe der Verfassungsschutz festgestellt, nur 26 Prozent der potentiellen IS –Terroristen hätten einen Schulabschuss, nur 6 Prozent eine Ausbildung abgeschlossen, 20 Prozent wären zur Zeit der Ausreise im Niedrig-lohnsektor beschäftigt. 117 von ihnen hätten bereits Straftaten begangen: Gewalt, Eigentums- und Drogendelikte.

In seiner Beratungsstelle VPN sei in 90 Prozent der Fälle der Vater abwesend, so der Politikwissenschaftler. Als pädagogischer Leiter der Bildungsstätte des Internationalen Bundes in Hadamar hat er bereits Projekte wie „Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage“ geleitet. Er will nun ein deutschlandweites Netzwerk gegen Salafismus aufbauen. Die Moschee-Imame würden sich selbst nicht auskennen in Deutschland.

Nach der gleichen Verfassungsschutz-Studie vom 23. September 2014 stellen türkische Staatsangehörige die größte Gruppe derjenigen, die von Deutschland aus in den IS-Krieg ziehen. 2009 veröffentlichte das Berlin-Institut „Ungenutzte Potenziale“: Nur 5 Prozent der türkischen Einwanderer heiraten einen genuin Deutschen. Das erschwert Integration enorm.


Soziale „Benachteiligung“ kein Grund für Radikalisierung

Von sozialer Benachteiligung als Grund für Radikalisierung will der Terrorismusforscher Dr. Marwin Abou Taam allerdings nichts wissen. Radikalisierung sei eine Entscheidung, soziale Probleme erklärten Radikalisierung nicht. Zwei Drittel der IS-Terroristen hätten vielmehr einen Schulabschluss – 31% einen Realschul- und 41% Gymnasialabschluss oder ein begonnenes Studium.

Teils würden diese Jugendlichen von den Eltern angefeuert, werden von ihnen als Helden gefeiert. Nur wenige kämen aus sozialen Brennunkten, so seine eigenen, nicht veröffentlichten Befragungen. Hinzu kämen als Faktoren die autoritäre Erziehung, die der autoritären, patriarchalischen Struktur der Salafisten entspräche, deren Einteilung der Welt in Gute und Böse. Die professionell durchorganisierte Infrastruktur der Salafisten vergleicht er mit einer Unternehmensorganisation.

Durch die eigenen Befragungen seines Instituts – Dr. Abou Taam ist auch für das Landeskriminalamt Rheinland Pfalz tätig – sehe er vier Gruppen, die sich dem IS anschlössen: 1. die Ideologisierten, 2. die Gruppe der Abenteuersuchenden, 3. die Mitläufer, die von einer Phase in die nächste schlittern. Und am meisten Angst habe er vor der vierten Gruppe, den triebgesteuerten Mördern, die gehen, um töten zu dürfen.

Der Leiter des Frankfurter Amts für Migration und Integration (Amka), Armin von Ungern-Sternberg, erkennt die professionellen Hintergrundstrukturen. Er sieht im Salafismus aber die Züge einer Jugendbewegung - die eigenen Räume, Riten, Kleider, den Gruppenhabitus. Sie leben von Provokationen, z. B. die Aktion Scharia-Polizei in Wuppertal. Sie grenzen sich ab von der Herkunftsgesellschaft, den Moscheen und der Familie. Salafisten hätten heute Deutschland im Visier. Sie wollen eine „quasi-utopische transnationale“ Gesellschaft, in der es keine Nationen gibt.

Warum sie denn aber töten, in den Jihad - Krieg ziehen, insistiert die Moderatorin. Armin von Ungern-Sternberg zitiert „Nicht jeder Muslim ist ein Terrorist, aber jeder Terrorist kommt aus dem Salafismus“. Deutschland habe auch Rechtsradikalismus. Armin von Ungern-Sternberg ist seit 2000 Projektleiter Europäische Integration bei der Hertie-Stiftung, für Mittel und Osteuropa. Er sitzt auch in der größten Stiftung der deutschen Wirtschaft, Studienstiftung des deutschen Volkes.

Dr. Abou Taam: Salafismus reicht von Jakarta bis New York, geht durch alle gesellschaftlichen Positionen „Geschichte schreiben, nicht von der Geschichte abgeschrieben zu werden“ sei Pierre Vogels Slogan. Salafismus hätte nichts mit dem Islam zu tun, behaupteten die Moschee-Verbände, doch das größte Kalifat aller Zeiten sei im Islam vorausgesagt!

Der gebürtige Beiruter, der an der Göttinger Universität mit Prof. Bassam Tibi zusammen gearbeitet hatte, forderte schon 2008 verstärkte Sicherheitsstrukturen für Deutschland. Wichtig sei den Jihad-Kämpfern vor allem auch die Aussicht auf Beute, Kriegsgefangene, entführte Frauen.

Was kann getan werden, fragt die Moderatorin. Armin von Ungern-Sternberg antwortet: Die Stadt und das Land haben bestimmte Möglichkeiten schnell einzugreifen, ordnungsrechtlich, bei Kampagnen. „Wir sollten immer den muslimischen Dialog fördern bzw. Rahmenbedingungen dafür schaffen. Zweitens müssen wir Netzwerke bilden und drittens hat die Stadt Frankfurt mehrere hundert Berater, es ist nur eine Frage der Finanzierung.“ Am Aktionstag der Muslime habe sich doch gezeigt: Viele Zuwanderer identifizieren sich nicht als Deutsche.


Wie vor Salafisten schützen?

Wie können unsere Kinder vor Salafisten geschützt werden, will eine Zuschauerin wissen. Armin von Ungern-Sternberg: Die Stadt Frankfurt hat rechtlich wenig Möglichkeit die Verteilung von Texten zu verbieten. Selbst die Scharia-Justiz lässt sich juristisch kaum verhindern. Man kann Veranstaltungen verbieten. Er sieht die Lösung in inhaltlicher Auseinandersetzung mit dem Salafismus. „Wir reagieren als Stadt schon sehr schnell“.

Rabia Bechari: Schützen kann man Kinder, indem man für sie da ist. Radikalisierung ist ein Prozess. Ingo Leven: Jeder muss an seinem Platz auch auf Amtsebene miteinander kommunizieren, als Gemeinschaft. „Das, was da Ausdruck findet, entstand in unserer Mitte. Wir müssen Angebote machen.“ Dr. Abou Taam: Kinder sollen verantwortlich handeln lernen, es sind alles familiäre Werte. Werte wie Selbstverantwortung sollten durch Schule und Elternhaus vermittelt werden. Mehmet Senel: Indem wir alle Kinder gleichermaßen respektvoll behandeln und die Identität der muslimischen Kinder stärken.

Die Frankfurter Integrationsdezernentin Dr. Eskandari-Grünberg hatte die „Diskussion zur Versachlichung“ mit den Worten eingeleitet, „Salafismus ist nicht nur ein Sicherheitsproblem, sondern auch ein gesellschaftliches Problem: Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit, nicht mehr dazu gehören, die Erfahrung von Ungerechtigkeit. Wir müssen mit Eltern, Sozialarbeitern, Lehrern und Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten.“

Die gebürtige Iranerin hatte in den 70er Jahren die Gewalt radikal religiöser Kämpfer am eigenen Leib erfahren. Die damalige Angehörige der iranischen Oberschicht landete im Gefängnis. Schließlich konnte sie nach Deutschland fliehen. Sie schließt die Diskussion mit den Worten „Respektvoll miteinander umgehen, ist unsere Verantwortung. Herzlichen Dank“.

Ich erhasche Dr. Abou Taam noch auf der Treppe. Nach seiner Statistik sind 37 Prozent derjenigen, die in den IS-Krieg ziehen, genuine Deutsche, 61 Prozent sind Zuwanderer. Er erklärt „Terrororganisationen suchen sich intelligente Mitglieder. Dumme seien eher gefährlich. Deshalb müssen Salafisten auch als Terrororganisation diskutiert werden“.
 

Susanne Fleuri

Leserkommentare (1)

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Mich kann selbst eine kostenlose Koran-Verteilung nicht zum Lesen animieren, wenn doch bereits der Buchtitel "Lies!" (engl. = Lügen) auf die zweifelhafte Qualität des Inhalts verweist.