Frankfurter SPD will Cannabis legalisieren
Gut besuchte Veranstaltung im Haus am Dom

Die SPD-Fraktion im Römer lud am Montag, 29. September 2014, unter dem Titel „Cannabis legalisieren“ in den großen Saal des Katholischen Hauses am Dom. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Dr. Renate Wolter-Brandecker, bekannte zu Beginn in frappanter Offenheit: „Nicht alle SPD-Veranstaltungen in der letzten Zeit sind so überfüllt.“
Rund 150 Interessierte im Saal, darunter viele an der Wand stehend und am Boden sitzend. Auf der Empore noch einmal 50 Personen, teilweise auf den Stufen des Zugangsweges. Die Grünen ahnten schon im Voraus, dass dieses Thema attraktiv sein würde: Sie gifteten im Vorfeld, die SPD würde ihnen ihr Thema klauen! So zu lesen in der Frankfurter Rundschau vom 22.9. und der Frankfurter Allgemeinen (FAZ) vom 23.9.
Zunächst einmal zur Information: Cannabis ist ein Oberbegriff. Die Pflanze mit dem lat. Namen Cannabis Indica Sativa enthält den Wirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol). Gewonnen aus den Blütendrüsen in harzigen Platten ist es Haschisch, auch Shit und Kif genannt. Die getrockneten fünfzackigen Blätter heißen Marihuana. Letzteres, bekannt auch als Gras, Tea, Pot etc. ist weniger stark in der Wirkung.
Wie aktuell dieses Thema ist, zeigte die Eingangsfrage vom Moderator des Abends, Christian Palm, FAZ-Redakteur im Regionalteil: „Wer hat schon mal Cannabis probiert?“ Da gingen rund zwei Drittel der Arme in die Höhe! Interessanterweise nicht bei SPD-Bundestagsabgeordneter Ulli Nissen und auch nicht bei Ursula Busch, für die SPD im Römer, sowie Stella Stilgenbauer, für die SPD im Ortsbeirat 3 (Nordend). Dagegen konnte der Berichterstatter feststellten, dass auch der Arm von David Cornelius Albrecht, Mitglied für die Freien Wähler im Ortsbeirat 3 in die Höhe schnellte.
Dipl. Psych. Ulrich Claussen vom Verein Jugendberatung und Jugendhilfe e.V., Leiter der Therapieeinrichtung Lenzwiese im Odenwald speziell für Cannabisgeschädigte, teilte mit, er wisse nicht, was von Cannabis abhängig macht und wen es trifft. Festgestellt wurde, dass Cannabisabhängige eine schlechtere Schulausbildung haben, weil sie relativ früh mit starkem Konsum begannen und deshalb oft keinen Schulabschluss schafften. Zu psychischen Schäden: Man bekomme Schwierigkeiten, mit Emotionen umzugehen, Wut zu regulieren, viele werden depressiv. Claussen gab zu bedenken: „Bei Psychosen ist eine Verfünf- bis Versechsfachung bei Cannabis-Konsumenten gegenüber Nichtkonsumenten festgestellt worden.“ Viele Konsumenten hätten indes eine Anlage zu Psychosen.
Zu physischen Schäden: Geschädigt würden durch das Rauchen von Cannabis die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System. Man solle Cannabis oral einnehmen, zum Beispiel in Tee oder Plätzchen. Und schließlich in aller Offenheit: „Rein zur medizinischen Anwendung (als Analgetikum = Schmerzmittel), dagegen ist nichts zu sagen.“ Letztendlich müsse man sich der Frage stellen: Recht auf Rausch oder Recht auf medizinische Versorgung. Und weiter: „Pro Jahr haben wir in Deutschland 110.000 tausend Tote durch Zigaretten und 40.000 Tote durch Alkohol. Bei Cannabis ist mir kein Todesfall bekannt.“
Einstiger Drogenhelfer plädiert für die Freigabe von Cannabis
Prof. Dr. Heino Stöver, einst Drogenhelfer und nun Inhaber des Lehrstuhles für sozialwissenschaftliche Suchtforschung an der Frankfurter Fachhochschule sagte vorher: „Den Krieg gegen die Drogen haben wir schon verloren.“ Auf die Frage von Moderator Palm, wie gefährlich Cannabis sei: „Keine Ahnung.“ Er sähe „kaum neurale Folgen“. Cannabis-Konsum sei längst im Alltag integriert. Es gäbe fünf Prozent „starke Dauergebraucher“. Der Rest nähme es „zur Entspannung, als Entschleunigungsmittel gegen die hektische Zeit.“ Das Cannabisverbot sei erst 100 Jahre alt, eine „selektive Prohibitionspolitik“, die Alkohol außen vor lasse, „um Menschen in der Spur zu halten.“
In 23 Staaten der USA sei es bereits erlaubt, dort in Apotheken erhältlich: „Wir sollen Cannabis als Analgetikum therapeutisch nutzen.“ Es sei appetitanregend nach der Chemotherapie. Es sollte sauber und preisgünstig erhältlich sein. Aber: „Hier geht es auch um Genuss!“ Und polizeiliche Verbote würden nicht mehr abschrecken. Die Menschen müssten nach Holland in die Coffee-Shops fahren „oder klandestines Verhalten an der Konstablerwache“ üben: „Bis zu 30 Gramm zum Eigenkonsum sollten nicht mehr strafrechtlich belangt werden.“ In Colorado würden die Steuern aus dem Verkauf von Cannabis zur Prävention eingesetzt. In der Schweiz sei alles legal, was nicht länger als eine Zehn-Franken-Note sei. Er sei für den Eigenanbau, wie er in Spanien und Belgien für drei bis sieben Pflanzen sei. Und dann: „Ich bin dankbar, dass die SPD das Thema aufnimmt.“ Schon vor 20, 25 Jahren hätten sich die Grünen zum Thema geäußert. Zum Schluss: „Frankfurt könnte, nach langer Zeit, mal wieder vorangehen.“
Dr. Wolter-Brandecker, SPD-Gesundheitsexpertin im Römer, hat die von der Polizei erwischten Konsumenten im Blick und bekennt ganz offen: „Unser bisheriger Weg ist gescheitert!“ Die Jugend wolle doch erstmal ausprobieren: „Wir wollen keine Menschen, die in Suchtkliniken landen.“ Auf Moderator Palms Frage, bei der harten Droge Heroin sei im „Frankfurter Weg“ die Ersatzdroge Methadon erlaubt worden, die weiche Cannabis aber weiterhin verboten, antwortete die SPD-Politikerin, man wollte nicht weiter so viele Menschen sterben lassen und die Taunusanlage von Süchtigen räumen, ihnen aber auch Hilfe anbieten. So konnte sich deren Gesundheit stabilisieren und sie wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Beim Alkoholmissbrauch entstünde ein viel größerer Schaden.
Recht auf Rausch? „Wir haben Werbung für Tabak und harte Alkoholika!“ Jedoch: „Wenn der Cannabis-Konsument im Knast sitzt, ist das nicht hilfreich.“ Cannabis-Freigabe sei nun eine „weltweite Debatte“, die auch in den Ortsbeiräten 1 und 3 geführt werde. „Das war bisher nicht unser Thema“, bekannte Wolter-Brandecker, doch sie wolle, um diesen „Reformstau auflösen, die Debatte mit der Bevölkerung. Das ist längst überfällig: Cannabis als Medikament in Altenheimen.“ Die Krankenkasse sollte für Schwerkranke die Kosten für Cannabis, rein und geprüft, übernehmen. Doch wie sieht es aus mit einer Mehrheit für eine Regelung im Stadtparlament? Dort sage die CDU: Wir diskutieren nicht einmal über Cannabis.
Äußerungen aus dem Publikum
Ein Grauhaariger: Er rauche seit 38 Jahren, habe mit 14 angefangen, aber nicht jeden Tag geraucht. Habe Bürokaufmann gelernt und sei nun IT-Experte: „Auf dem Frankfurter Markt ist nur gepanschter Müll. Ich bin deshalb für den Coffeeshop und für legalen Selbstabbau.“
David Cornelius Albrecht, Mitglied für die Freien Wähler im Ortsbeirat 3, der Grünen-Hochburg Nordend, beklagte, dass er schon dreimal mit seinen Anträgen zur Cannabis-Legalisierung gescheitert sei. Er schlug vor, den Wirkstoffgehalt von Cannabis (THC) zu normieren, wenn er legal zu erwerben sei. Dies sei schon viele Jahre in Kalifornien der Fall. Bei uns sei das ja auch bei Alkohol und Zigaretten längst der Fall.
Ein Kriminalhauptkommissar vom Fach betonte, dass durch das gültige Betäubungsmittelgesetz sowohl Konsum als auch Handel kriminalisiert würden. Wenn man erwischt wird: Dienen 30 Gramm Haschisch dem Eigenbedarf oder dem Weiterverkauf? Wie soll man das auseinanderhalten? Indes, wird der Konsum legalisiert, geht der Konsument in die Apotheke oder das Fachgeschäft: Das gleiche gilt für den legalisierten Selbstanbau. So wird der kriminelle Straßenhandel schnell ausgetrocknet.
Letzte Frage von Moderator Palm: „Wann kommt die Cannabis-Legalisierung?“ Prof. Stöver sieht sie schon recht bald: 2017! Frau Dr. Wolter-Brandecker ist da verhaltener: In zehn bis 15 Jahren. Zuvor sollten in den Großstädten Modellversuche starten.
D. Schreiber