Radikalisierung – helfen die Integrationsmaßnahmen?
Bericht von einer Tagung des Liberalen Forums

Radikalisierte, islamische Jugendliche – Brauchen wir eine andere Integrationspolitik? So lautete das Thema eines Abends des Liberalen Forums der FDP-Römerfraktion am 8. Oktober. Die Veranstaltung im Saalbau Titusforum in der Nordweststadt lockte etwa 60-70 Zuhörer an.
Radikalisierung sei nicht neu, erklärte zuerst die Ex-CDU Stadtparlamentarierin Ezhar Cezairli. Wir müssten uns darin einig sein, dass für alle verbindlich das Grundgesetz gelte. Jugendliche müssten zudem mehr Chancen bekommen, ihr Potenzial müsse gefördert werden, so die Deutsch-Türkin, die als Vertreterin der säkularen Muslime Mitglied der Deutschen Islamkonferenz ist. Auch sei es ein Problem, dass deutschstämmige Politiker zumeist die muslimischen Gruppierungen nicht zu unterscheiden vermögen.
Der integrationspolitische Sprecher der FDP-Römerfraktion stimmte dem zu, denn es sei schwer, muslimische Gruppierungen einzuordnen und zu durchschauen. Der Jurist und Personalvermittler Stefan von Wangenheim sieht eine Lösung in härteren Gesetzen, die ganz extreme Gruppierungen ausschalten. Wir müssten eine Brennpunktbildung verhindern, beobachten, was in Moscheen gepredigt wird, die Mehrheit der Muslime zur Loyalität bewegen und dazu, sich an rechtliche Grundlagen zu halten.
Dem widersprach die Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes. Es sei nicht Auftrag der Muslime, es sei unser aller Auftrag, das Problem zu lösen, vor allem auch der Politiker, so Lamya Kaddor. Was wir als Muslime klarmachen könnten, sei, dass es im Islam Vielfalt gäbe, so die Mitgestalterin des ersten Lehrstuhls für Islam, dem Centrum für Religiöse Studien der Universität in Münster. Man müsse klarstellen, dass Militante nicht die Norm sind.
Integrationspolitik ging bislang nur über die Religion, kritisierte daraufhin Ezhar Cezairli. Erst wurde der Koordinierungsrat für Muslime geschaffen, dann die Imam-Ausbildung mit Seelsorge – also alles Maßnahmen, die über die Religion nicht hinausgingen. Das sei völlig falsch gewesen, so die Zahnärztin. Wir müssten eine Kindergartenpflicht für alle durchsetzen, damit die Startchancen auch für alle gleich werden. Denn viele muslimische Kinder würden im Elternhaus nicht gefördert. In den staatlichen Institutionen wie Kindergarten, Schule, Bildungsweg müsse UNSER Demokratieverständnis gelehrt werden, eben nicht das von religiösen muslimischen Einrichtungen.
Wo sollen denn die Moschee-Vereine stehen, welche Aufgabe sollen sie bekleiden, fragte die Moderatorin und FAZ-Redakteurin, Katharina Iskandar.
Stefan von Wangenheim sah das als Aufgabe auch der nicht organisierten Muslime.
Lamya Kaddor lehnte hingegen die Mitverantwortung der Muslime ab. Man müsse sämtliche Radikalisierten erreichen. Muslimische Dachverbände verlieren die Jugend genauso wie Kirchen. Radikalisierung sei kein muslimisches Problem, es sei ein gesellschaftliches Problem. „Türkin, Muslima, Migrantin“, so sei sie immer stigmatisiert worden, erklärte die gebürtige Deutsche aus Ahlen. Ihre eigenen Eltern hätten Bildung als sehr wichtigen Wert gesehen. Doch in Dinslaken habe ein „Ahmed“ schlechtere Chancen, und das wisse er auch. Ein deutsch-muslimischer Jugendlicher, der gegen die Gesellschaft aufbegehren will, könne zwischen Neonazi oder Salafist entscheiden. In der deutschen Gesellschaft gebe es eben nur Muslim oder Nicht-Muslim.
Katharina Ikandar: Warum wenden sich Jugendliche ab von der Gesellschaft?
Peter Benesch, der Vorsitzende der Sportjugend Frankfurt (SJF), sagte: "Ich habe mich natürlich mit Salafismus beschäftigt. Wir werden in Zukunft sicherlich noch ganz andere Probleme haben. Denn wir haben damit begonnen, alle jenseits des 18. Lebensjahrs aus der Betreuung in den Sportvereinen auszuschließen. Wir überlassen die Altersgruppe 18-27 - also eine ganze Generation - sich selber. Dieser Prozess ist neu. Diese jungen Erwachsenen haben dann keine Treffpunkte mehr – außer Spielhallen, Internet, Moscheen etc.. Eine Lösung könnte sein, wir geben dieser Altersgruppe weiterhin die Möglichkeit sich in Sportclubs zu treffen." Sein Verein nehme jährlich rund 20.000 Jugendliche auf. Abgebrochene Schule oder Lehre, bei Jugendlichen zwischen 16 und 20 Jahren manchmal schon eine kriminelle Karriere, sehe er häufig. Man müsse diesen Jugendlichen helfen, wieder auf die Spur zu kommen. Vor 10 Jahren noch konnten Jugendliche mit 18 Jahren eine Familie gründen, da stellte sich dieses Problem nicht, so der mehrfach ausgezeichnete hessische Boxmeister und Banker.
Die FDP-Fraktionsvorsitzende erklärte, die Schulkonstellation sei ein Problem, denn Kinder würden in ihrem Wohnviertel eingeschult. Die Zuwandersituation in einzelnen Stadtvierteln ergäbe heute keine Klassen mehr mit 25 blauäugigen und zwei braunäugigen Kindern, wie es noch vor 20 Jahren gewesen sei. Annette Rinn stellte klar, wir könnten zwischen Salafisten und friedlichen Muslimen unterscheiden. Doch zur Lösung des Salafismus müssten alle ordnungspolitischen Maßnahmen und Möglichkeiten umgesetzt werden, die Frankfurt habe.
Weil sie keine Erfolgserlebnisse haben, könnten wir die Jugendlichen nicht von den Werten der demokratischen Gesellschaft überzeugen. Vor einem Jahr wussten wir noch nichts von Salafisten, warf Ezhar Cezairli ein. Neben den sozialen Gründen gäbe es als zweites Thema auch die Außenpoli-tik. Wie könnten wir glaubwürdig sein, wenn wir Diktaturen weltweit Waffen liefern? Es bestünde bei allen Muslimen diesbezüglich ein Unrechtsgefühl. Wir müssten aber verlangen, dass alle sich an die Regeln halten, dass Frauen sich eben nicht verschleiern müssen, Mädchen auch am Schwimmunterricht teilnehmen.
Stefan von Wangenheim, Vater zweier Töchter, sah Besserung, da es viel weniger Ausgrenzung als früher gäbe, und auch in den geplanten Präventionsmaßnahmen vom Amt für Migration und Integration in Zusammenarbeit mit der Politik, Staatsanwaltschaft, Polizei und Lehrerschaft sah er Hoffnung. Beratungsstellen und ein Sorgentelefon wurden als Lösung angeboten. Die Burka zu tragen, fand der Jurist hingegen in Ordnung. Man müsse den Jugendlichen aber erklären, dass das hier eine andere Gesellschaft sei.
Lamya Kaddor fragte sich, wie denn Jugendliche sich mit westlichen Werten identifizieren könnten, wenn scheinheilige Politiker gleichzeitig Waffenlieferungen in islamische Länder tolerierten? Der Islam hingegen kenne keine nationalen Grenzen, keine Hautfarbe, keine Rasse, das mache ihn attraktiv. Salafisten missbrauchen allerdings den Islam für ihre eigenen politischen Zwecke.
Dagegen protestierte Frau Ezhar Cezairli. Wenn ein Jugendlicher Erfolg habe, dann integriere er sich. Das gehe alles über Bildung. Es würden noch nie so viele Integrationsmaßnahmen ergriffen, wie heute. Sie laufen aber alle ins Leere. Sie selbst habe eine Freundin, die nur arabisch-stämmige und türkisch-stämmige Freundinnen habe. Das führe zu nichts. Der Islam, die Gemeinschaft der Muslime, bilde ein Kollektiv. Wir könnten aber kein Kollektiv integrieren.
Katharina Iskandar möchte nun Lösungsansätze
Stefan von Wangenheim äußerte: "Wir hatten ein ähnliches Problem mal mit Rechtsextremen, daher mein Ratschlag lautet – auch wenn er Geld kostet –, Jugendlichen zu helfen, in die rechte Bahn zurückzufinden. Wenn wir 50% erreichen, sind wir gut. Heute sind es Salafisten, morgen sind es die Rechten." Gesetze müssten eingehalten werden.
Lamya Kador sagte: "Muslime sollten nicht mehr von Deutschen unterschieden werden. Diese Jugendlichen sind orientierungslos, fühlen sich nicht dazugehörig."
Warum ist es Aufgabe der Politik, will die FAZ-Redakteurin Katharina Iskandar wissen
Annette Rinn erklärte: "Es ist eine Aufgabe der Politik, Kindergärten zur Pflicht zu machen. Man reagiert auch viel zu nachgiebig, zum Beispiel bei der Koranverteilung auf der Zeil. Hier kann das Ordnungsamt die Stände wegräumen lassen." Da müsse man viel deutlicher reagieren, so die Kauffrau und Fraktionsgeschäftsführerin der Frankfurter FDP.
Die Mitbegründerin der „Frankfurter Initiative progressiver Frauen“, Frau Dr. Ezhar Cezairli, betonte immer wieder die Bedeutung der frühkindlichen Erziehung und die der strengen Trennung zwischen Staat und Religion. Sie sah eine Notwendigkeit darin, zwischen Demokraten und Fanatikern zu unterscheiden und nicht zwischen Schiiten, Sunniten, Salafisten. Hilflose Muslime klammerten sich generell an die Religion. Sich an die Gesetze halten, genügte der Muslima aber nicht. Kindern müsste ab der frühkindlichen Erziehung die freiheitlich demokratische Grundordnung unserer Demokratie eingeprägt werden. Sie unterschied dabei die Vorstellungen von Imamen und Moscheevereinen.
Der Islam gehöre zu Deutschland, so Stefan Freiherr von Wangenheim. Der bildungs- und Integra-tionspolitische sowie kulturpolitische Sprecher der FDP betonte aber die Notwendigkeit einer liberalen Gesellschaft, sich gegen Extremismus zur Wehr zu setzen. Bildung sei hierbei grundlegend und dabei könne man Sprachangebote erhöhen und so den Einzelnen stärken.
In Diskussionen nach der Veranstaltung wurden grundlegende Themen diskutiert
Bei einem Glas Wein im Foyer diskutierte man noch lange weiter: Über den gewaltigen Wandel in der wirtschaftlichen Realität seit den 1990er Jahren, die Abwanderung von Millionen Arbeitsplätzen für reine Praktiker, die Abwanderung von Aufträgen für Akademiker, den Druck auf kleine und mittel-ständische Unternehmer, heute gegenüber genau Schwellen- und Entwicklungsländern konkurrenzfähig sein zu müssen, die real sinkenden Löhne, die wachsende Diskrepanz zwischen dem, was Hauptschullehrer unter den veränderten Bedingungen noch inhaltlich vermitteln können und den Anforderungen in Betrieben. Es kam die unterschiedliche Sozialisierung von Außereuropäern aus afrikanischen und arabischen Ländern zur Sprache, die kontrastiv anderen Werte in den Elternhäusern. Es wurde generell der „wortwörtliche Islam“ der Moschee-Gemeinden als negativer Einfluss diskutiert, aber auch der Brainwash, den die Zulieferer (Salafisten) von Terrororganisationen (IS) auf ihre jungen Rekruten ausüben.
Doch das alles füllt ganz sicher einen neuen Veranstaltungsabend ….
Susanne Fleuri