Bildungsperspektiven der Flüchtlingswelle

Eine muslimisch dominierte Diskussion in Frankfurt

Bildungsperspektiven der Flüchtlingswelle
© blu-news.org


Im Rahmen der Frankfurter Interkulturellen Wochen kamen vor einigen Tagen etwas über 20 Besucher zu der Veranstaltung „Der Einfluss der Flucht auf die Bildungserfolge“. Die Diskussion unter der Leitung von Dr. Iranbomy brachte neue Erkenntnisse. Als Völkerverständigungsbeauftragter des Stadtelternbeirats Frankfurt führt der international erfahrene, zweifache Doktor und Rechtsanwalt durch den Abend im Klassenraum D07.

Der welterfahrene Jurist verhandelt Rechtsgebiete wie Familien- und Strafrecht, aber auch das Gleichbehandlungsgesetz. Der Deutsch-Iraner bietet paritätisch auch Islamisches Scheidungsrecht in seiner Kanzlei an, auch die Morgengabe, Brautgaberecht und iranisches Erbrecht stehen auf seinem breitgefächerten juristischen Programm.

Sepehr Samadian, Künstler und iranischer Flüchtling, nutzt die Chance der Interkulturellen Wochen. Mit seinem Saitenspiel spinnt er mal klassisch orientalisch, mal mit westlichen Akkorden, einen musikalischen Faden durch den Abend. In muslimisch geprägten Ländern würde er für sein Saitenspiel verfolgt. Doch auf dem Gymnasium gehört Musik zum anerkannten Schwerpunkt. Die Elisabethenschule hat Erfahrung mit dem Training von Zuwanderern. In den Container-Klassenräumen wurden schon russische Flüchtlinge auf die Integration in den normalen Schulunterricht vorbereitet. Es herrscht keinerlei Kindermangel, wie auf der Schulwebseite zu lesen ist.


Was Flüchtlinge brauchen und wollen

Ganz anderen gesellschaftlichen Realitäten werden Neuzuwanderer ab 2015 ausge-setzt sein. Die Zahl der Flüchtlinge wird sich vervierfachen, weiß Dr. Iranbomy.

Die Forschungsmitarbeiterin der Frankfurter Hochschule, Shabana Maliki sieht im Zugang zu Bildung eine der wichtigsten Voraussetzung für den Erfolg von Flücht-lingen im Arbeitsmarkt. Sie selbst habe das Fachabitur nachgemacht, erklärt die Mitarbeiterin der Initiative Integration. Die fördert Stipendiaten mit Finanzmitteln der Friedrich-Naumann-Stiftung, eine von Bundesgeldern finanzierte FDP Stiftung.

Viele Asylanten säßen allerdings auf gepackten Koffern. Sie lebten in ständiger Angst, abgeschoben zu werden. Die Flüchtlinge hätten zudem wirtschaftliche Probleme. Für Bücher, gesundes Essen, Nachhilfelehrer, Deutschkurse hätten sie kein Geld. Viele Mütter seien motiviert, nur zahle das Arbeitsamt nicht. Bafög bekämen Flüchtlinge nicht. Als dritten Punkt nannte sie die kulturellen Vorstellungen der Zuwanderer. So würden für motivierte Ehefrauen und Töchter die mitgebrachten Verhaltensnormen aus nicht-westlichen Ländern zum Genickbruch. Sie dürften nicht am öffentlichen Leben teilnehmen. In Deutschland hingegen habe man als Migrant viele Chancen. Die deutsche Gesellschaft müsse mehr Geld für Bildung ausgeben, so Frau Maliki.

70 Prozent aller Asylantragsteller würden jahrelang auf ihren Bescheid warten, pflichtet der Integrationsbeauftragte Dr. Dr. Iranbomy ihr bei. Man könne das leicht ändern, so die muslimische Seelsorgerin Arshad aus Mainz, es sei aber „von oben“ nicht gewollt. Dr. Iranbomy gibt zu bedenken: „Was würden wir als deutsche Flüchtling als Erstes tun, um „unser Glück“ in einem anderen Land zu finden?

Im Gespräch mit der muslimischen Seelsorgerin Arshad, die in einem Mainzer Krankenhaus Muslime berät, zeigte sich ein Kontrastprogramm: Die deutsch-sozialisierte Teilnehmerin ging auf ihrer imaginierten „Flucht“ sofort die neun Nachbarländer Deutschlands durch: Schweiz, Österreich, Luxemburg – da kann man schon die Sprache; Schulenglisch – also kommt auch England in Frage, Schulfranzösisch – also kämen Frankreich und Belgien auch in Frage. Für die Muslima ist die Anwesenheit einer verwandten Familie von oberster Bedeutung. Das entspricht dem Schutzfaktor Familie in der außereuropäischen Lebensrealität.

Für die Westeuropäerin ist hingegen wichtiger, ob sie ihre Berufserfahrung einsetzen könne, ob sie ihren Lebensunterhalt im neuen Umfeld verdienen könne oder ob sie weiterziehen müsse. Weiterziehen? Die Kopftuch-Muslima blickt verständnislos. Als deutsch sozialisierter Bürger definiert man Flüchtling als einen Menschen, der verfolgt wird, in akuter Not ist – aber darum noch lange nicht kopflos oder gar planlos handelt. In welchem Land hat man überhaupt Integrationschancen - diese Überlegung ist der Muslima fremd. „Geben“ ist fremd. Flüchtlinge sollten versorgt werden, Bildungsangebote erhalten.

Ein türkischer Zuwanderer findet, die deutschen Nachbarn müssten den Flüchtling einladen und aktiv integrieren. Er hätte als Analphabet selbst alles von seinen deutschen Nachbarn gelernt. Er unterscheidet nicht zwischen abwandern und in akuter Verfolgungssituation sein. „Flüchtling“ ist für ihn ein Reisender oder ein Abwanderer oder einer, der sein materielles „Glück“, in der Fremde sucht.
 

Bekenntnisse eines muslimischen Gefängnisseelsorgers

Ein deutsch sozialisierter Teilnehmer wollte wissen, warum denn 1945 Deutschland mit mehreren Millionen Flüchtlingen fertig wurde und heute ein paar Hunderttausend schon Probleme machen. Doch die damals Vertriebenen konnten alle fließend Deutsch, waren mit deutschen Denk- und Verhaltensnormen vertraut, hatten eine solide Vorbildung, trafen auf ein zerstörtes Land und auf ein Vakuum auf dem Arbeitsmarkt. Mit ihrer Kraft bauten sie tatsächlich auch ihre eigene Zukunft auf. Heute treffen die Flüchtlinge auf einen hochkompetitiven Arbeitsmarkt, aus dem die Arbeitsplätze und Aufträge abwandern. Auch finden sie eine ganz andere deutsche und europäische Gesellschaft vor. Zu viele scheitern an objektiven Faktoren wie sprachlichen, fachlichen, verhaltens- und erziehungsbedingten Herausforderungen.

Die Bundesregierung würde Außereuropäern wie Eritreer, Somalier und andere Afrikaner dazu nötigen, ihre Heimat zu verlassen, so eine Linke im Besucherkreis der Veranstaltung. Leider war sie für Nachfragen zu den von ihr in die Diskussion gebrachten Argumente über die „kapitalistischen Interessen“ an den Flüchtlingen (Billiglohnkräfte? Vernichtung der sozialen Netze?) später nicht mehr zu erreichen.

Der Gefängnisseelsorger Mustafa Cemsit sieht in der fehlenden Integrierbarkeit im Arbeitsmarkt, insbesondere bei muslimischen Zuwanderern, den Grund für die wachsende Kriminalität. Der Mullah erklärte, dass 55 Prozent der 14 bis 18-jährigen Muslime und Gefängnisinsassen der Jugendvollzugsanstalt Rockenberg hier geboren wurden. Er betreut mehrere muslimische Altersgruppen auch in Wiesbaden und Frankfurt. Weibliche Kriminalität gäbe es so gut wie nicht. Bei den Jungen fehlen schon Schreib- und Lesefertigkeiten, die Eltern seien selbst ahnungs- und hilflos.

Der Mullah betont die wachsende Bedeutung der muslimischen Asylsuchenden in Deutschland, die sich von 2012 (77.651 Erstanträge) auf 2014 (136.039 Erst-anträge) fast verdoppelt habe. Aus Syrien, Serbien, Eritrea kamen die größten Gruppen. Armut und soziale Bedürftigkeit seien die wichtigsten Gründe für die „Flucht“.

Die Zukunft könnte muslimisch werden. Aber welcher Islam? Laizistische Denker?

Der Mullah bleibt optimistisch. „Wir“ könnten viel von diesen Flüchtlingen lernen, erklärt Mustafa Cemsit. So würden gerade diese Muslime neue Nischen erkennen, sie seien sehr neugierig. Nischen mit denen man sich auch ohne Schulbildung und ohne Arbeitsplatz einen Lebensunterhalt erwirtschaften kann, wie in der 3. Welt?

Und die iranischen Saiten von Herrn Samadian weissagen, „dass dauerhafte Stabilität nicht erreicht werden kann, alles befindet sich in ständiger Bewegung …“
 

Susanne Fleuri

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